SN.AT / Leben / Mobilität

Alle 45 Sekunden ein neuer Tesla

Die neue Gigafactory bei Berlin ist die modernste Autofabrik der Welt. Vor den Augen der Premium-Konkurrenz baut Tesla in Deutschland E-Autos in Rekordzeit.

Eine Fabrik wie eine Showbühne: Die neue Gigafabrik von Tesla im deutschen Grünheide.
Eine Fabrik wie eine Showbühne: Die neue Gigafabrik von Tesla im deutschen Grünheide.

Das Herzstück der neuen Tesla-Gigafactory in Grünheide bei Berlin ist so hoch wie ein dreigeschoßiges Haus, 50 Tonnen schwer und in den Farben der Marke Tesla lackiert, mit weißer Verkleidung und rotem Rahmen. Die Karosseriepresse ist eine gewaltige Maschine, die mit einem Druck von 2500 Tonnen alle 20 Sekunden fertige Teile ausspuckt.

Neue, revolutionäre Bauweise

Pressen wie jene in der neuesten Tesla-Fabrik sind als solche nichts Ungewöhnliches und werden so auch von anderen Herstellern verwendet. Den Unterschied machen jedoch die Bauteile, die am Ende dieser Herkulesanlage herauskommen. Neben Türen und Heckklappen sollen bald auch die Batteriekästen produziert werden, die in Zukunft gemeinsam mit den Lithium-Ionen-Akkus neuester Bauart fest verklebt werden und dadurch den Unterboden für das Kompakt-SUV Model Y formen. Was banal klingt, ist in Wahrheit eine kleine Revolution, an der Tesla-CEO Elon Musk nach eigenen Angaben bereits seit den Anfängen des Unternehmens arbeitet: Die neue Bauweise spart Gewicht, verbessert die Fahreigenschaften und erhöht die Reichweite.

Gussverfahren erspart 70 Produktionsschritte

Innovativ geht es auch in der Gießerei der Tesla-Produktionsstätte zu. Hier formt eine gigantische Druckgussmaschine aus insgesamt neun Aluminiumbarren die Heckpartie des Model Y. Geht es nach Firmengründer Musk, sollen bis Ende des Jahres acht Exemplare dieser Gigapresse genannten Fertigungseinheit in Aktion sein. Diese werden gebraucht, um zukünftig nicht nur das Heck, sondern auch den gesamten Frontbereich der Autos buchstäblich aus einem Guss zu fertigen. Der Vorteil dabei: Durch das Gussverfahren entfallen 70 Produktionsschritte, was im Vergleich zur Konkurrenz wertvolle Ressourcen und vor allem Zeit spart. In Zukunft werden die Karosserien bei Tesla nur noch aus drei großen Teilen bestehen - verbunden werden die beiden Gussteile vorn und hinten vom bereits erwähnten Batteriekasten. Im Vergleich zur konventionellen Bauweise, bei der große Bauteile noch aus zahlreichen Einzelteilen zusammengeschweißt werden, entfallen dadurch schier unglaubliche 370 Produktionsschritte. "Allein durch das Heck erspart sich die Fabrik 300 Roboter", verriet Elon Musk kürzlich im Rahmen der Eröffnung des Produktionsstandorts.

Zwar bringt die Fertigungsmethode auch Nachteile mit sich: Wird ein Gussteil im Falle eines Unfalls deformiert, muss er komplett getauscht werden, was die Reparatur vergleichsweise teurer macht. Dass die Vorteile dennoch bei Weitem überwiegen, zeigt die Tatsache, dass neben Volvo auch bereits einige chinesische Hersteller die Gigapresse verwenden. Auch bei Volkswagen spielt sie mittlerweile eine Rolle in den Planungen.

Und genau das ist sinnbildlich für den Vorsprung von Tesla gegenüber den bisherigen Branchengrößen: Als das italienische Maschinenbauunternehmen Idra die Gigapresse bereits 2019 auf einer Fachmesse in Berlin vorstellte, wurde sie von vielen nur belächelt. Nicht so Elon Musik: Gemeinsam mit Idra entwickelte man die heutige Version der Maschine, die in Grünheide mit einem Druck von 6100 Tonnen die Art und Weise, wie Elektroautos gebaut werden, neu definiert.

Ziel sind 10.000 Autos pro Woche

Tatsächlich scheint der Autobauer aus Kalifornien der Konkurrenz aktuell in den meisten Bereichen voraus zu sein. Eine der wichtigsten Kennzahlen ist die Frequenz, mit der Neufahrzeuge in einer Fabrik vom Band laufen. In Teslas neuester Fabrik in Deutschland beträgt der Takt gerade einmal 45 Sekunden. Ein üblicher Großserien-Produktionstakt bei der Konkurrenz beträgt derweil im besten Falle 70 bis 90 Sekunden. Und dieser Vorsprung summiert sich: Während beispielsweise Volkswagen in Summe 30 Stunden für den Bau eines kompletten Fahrzeugs benötigt, sind es bei Tesla gerade einmal zehn. Schon das erste Tesla-Werk im kalifornischen Fremont verdrängt die bis dahin modernste und produktivste Autoproduktionsstätte der Welt, die Toyota-Fabrik in Kentucky. Während man dort pro Woche 8427 Fahrzeuge schafft, kommt Tesla auf 8550. Noch verlassen gerade einmal 500 bis 1000 Autos die neue Fabrik in Grünheide. Ist die Fabrik jedoch endgültig hochgefahren und läuft unter Volldampf, so sollen jährlich 500.000 Autos vom Band laufen - das sind knapp 10.000 pro Woche.

Strukturelle Aufgabe der Akkus

Das Problem aus Sicht der Konkurrenz: Jene Bauteile, die bei Elektroautos den größten Unterschied machen können, kommen in Grünheide bis dato noch gar nicht zum Einsatz - die Batteriezellen vom Typ 4680. Dabei handelt es sich um zylinderförmige Zellen, die im Vergleich zu den bisher genutzten Varianten einen mehr als doppelt so großen Durchmesser aufweisen. Die Energiedichte steigt bei der Neuentwicklung um das Fünffache, was die Reichweite der Fahrzeuge um bis zu 16 Prozent steigern dürfte.

Fast noch entscheidender als die reine Kapazität ist die strukturelle Aufgabe, die den Akkus bei den künftigen Modellen zukommt. So werden die Akkuzellen in Kombination mit dem neu entwickelten Batteriekasten als fixer Bestandteil der Karosserie fungieren. Das senkt abermals die Komplexität der Konstruktion und damit vor allem auch die Produktionskosten. Mittels Klebeschaum werden die Zellen fixiert und gleichzeitig feuerfest gemacht, das Gewicht für das Isolieren der Zellen entfällt. Die Produktion soll noch in diesem Jahr starten, und zwar am selben Standort wie die Autofabrikation - ein absolutes Unikum in Europa. Verbaut wird der Akkutyp 4680, den Elon Musk erstmals im Rahmen seines "Battery Day" im Jahr 2020 angekündigt hat, in der Folge in die Model Y, made in Germany.

Die Art und Weise der Entstehung der Gigafactory - der Standort war quasi betriebsbereit, noch bevor die öffentliche Betriebserlaubnis vorhanden war - lässt erahnen, mit welcher unternehmerischen Dynamik, aber auch mit welchem Risiko Elon Musk die Hochskalierung der Produktion und damit die Expansion seines Unternehmens vorantreibt. Bis dato ist auf dem Firmengelände in Grünheide nur ein Viertel der Fläche verbaut. Geht es nach dem exzentrischen Firmengründer, so soll Tesla in einem Jahrzehnt hier 20 Millionen Autos produzieren - doppelt so viele wie derzeit die gesamte Volkswagen-Gruppe.