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Das Scooter-Dilemma

Laut einer aktuellen Studie sind E-Scooter noch gefährlicher als erwartet. Hohes Tempo und falsche Bedienung führen in vielen Fällen zu schweren Verletzungen.

Nicht ungefährlich: Die Fahrt mit einem E-Scooter will gelernt sein.
Nicht ungefährlich: Die Fahrt mit einem E-Scooter will gelernt sein.

Der 1. Juni 2019 war ein besonderer Tag für Österreich: Die 31. Novelle der Straßenverkehrsordnung trat in Kraft. Seither hat Österreich ein klares Regelwerk für den Einsatz von E-Scootern - oder wie der Gesetzestext es formuliert: "elektrisch betriebene Klein- und Miniroller". Die Hoffnungen, die in diese neue Art der urbanen Mobilität gesetzt wurden, waren enorm. Von einer "echten Revolution" des Stadtverkehrs war vielerorts bereits die Rede: Für kürzere Strecken würden die Menschen in naher Zukunft lieber ihr Auto stehen lassen und stattdessen den umweltfreundlicheren und vor allem platzsparenden E-Scooter nehmen.

Nach drei Jahren Feldexperiment kann man heute sagen: Die erhofften Heilsbringer für den Stadtverkehr sind E-Scooter definitiv nicht. Ganz im Gegenteil: Bei genauerem Hinsehen ist es alles andere als ungefährlich, die flinken Elektro-Zweiräder im Alltag zu nutzen. In Wien, wo nicht nur überdurchschnittlich viele private Scooter genutzt werden, sondern auch besonders viele Leihfahrzeuge zur Verfügung stehen, geben die Unfallzahlen Grund zur Sorge. Gab es im gesamten Jahr 2021 noch 159 Verkehrsunfälle mit Personenschaden mit E-Scooter-Beteiligung, wurden von Jänner bis Juli 2022 bereits 169 Unfälle erfasst. Dazu kommen noch jene Unfälle, bei denen E-Scooter-Fahrer ohne Fremdeinwirkung stürzen oder bloßer Sachschaden entsteht.

Erkenntnisse der Unfallforschung

Wie genau es zu diesen Unfällen kommt, hat kürzlich ein norwegisches Forschungsteam in der Hauptstadt Oslo unter die Lupe genommen und im medizinischen Fachjournal "Jama Network Open" veröffentlicht. Die zusammengefassten Erkenntnisse: E-Scooter-Unfälle ereignen sich in der Regel nachts, betreffen junge Erwachsene, die keinen Helm tragen und die meist alkoholisiert sind.

Eine fatale Kombination, schließlich sind die Scooter auch unter besseren Rahmenbedingungen und ohne körperliche Beeinträchtigungen nicht einfach zu beherrschen: Die Fahrer stehen aufrecht, der Schwerpunkt ist also hoch oben, ebenso der Lenker. Die Räder sind verhältnismäßig klein, schon die kleinste Unebenheit, Spurrinnen oder Fahrzeugschäden können zu fürchterlichen Stürzen führen. In diese Kerbe schlägt auch die Studie aus Oslo: Verletzungen der Arme und Hände traten mit 34 Prozent am häufigsten auf, gefolgt von Kopfverletzungen (32 Prozent). Auch Verrenkungen und Brüche des Sprunggelenks sind häufige Folgen eines abrupten Endes einer Scooter-Fahrt.

Das Tempo ist oft das Problem

Um als Fahrrad im Sinne der Straßenverkehrsordnung zu gelten, dürfen E-Scooter eine maximale Geschwindigkeit von 25 km/h und eine Leistung von 600 Watt nicht überschreiten. "Das bedeutet jedoch nicht, dass man immer und überall so schnell fahren darf. Das gefahrene Tempo muss stets der Situation angepasst sein, darüber hinaus gilt es in Wohnstraßen, Fußgänger- und Begegnungszonen die entsprechenden Geschwindigkeitsbegrenzungen zu beachten", gibt Oberst Thomas Losko, Leiter der Landesverkehrsabteilung Wien, zu bedenken.

Wie Geschwindigkeitsmessungen des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KfV) von mehr als tausend E-Scootern in Wien zeigen, sind Tempoüberschreitungen jedoch gerade in sensiblen Bereichen mit niedrigen Tempolimits an der Tagesordnung. "In Begegnungszonen überschreiten 39 Prozent der E-Scooter das 20-km/h-Limit, in Fußgängerzonen sind es sogar überwältigende 98 Prozent, die sich nicht an die vorgegebene Schrittgeschwindigkeit (5 km/h) halten", so Othmar Thann, Direktor des KfV. Dabei kann gerade in Bereichen mit starkem Fußgängerverkehr überhöhte Geschwindigkeit in Kombination mit Bedienungsunsicherheiten zur Gefahrenquelle für schwächere Verkehrsteilnehmende werden. "Ein Unterschied von 5 km/h in der Ausgangsgeschwindigkeit macht bei einer Notbremsung einen großen Unterschied."

Höhere Leistung als in Österreich erlaubt

Die Polizei ist derzeit auch immer wieder mit E-Scooter-Fahrern konfrontiert, deren Geräte deutlich schneller fahren als die erlaubten 25 km/h. Vor allem im Ausland oder im Internet erworbene Geräte sind bauseitig oft mit einer höheren Leistung als in Österreich erlaubt zugelassen. Der schnellste bislang von der Polizei gemessene und angehaltene E-Scooter-Fahrer war mit einer Geschwindigkeit von 102 km/h unterwegs. Technische Umbauten sind per se nicht verboten. Sollten durch die Umbauten aber technische Voraussetzungen erreicht werden, die jene eines E-Scooters überschreiten, so hat man mit empfindlichen Geldstrafen zu rechnen.

Bleibt die Frage, ob E-Scooter zumindest die in sie gesetzte Hoffnung erfüllen, als ökologische Alternative zum Auto zu fungieren. Zumindest die Norweger sind dahingehend skeptisch: Laut dem Osloer Institut für Verkehrsökonomie ersetzt der E-Scooter nur in acht Prozent der Fälle das Auto, in satten 60 Prozent aber das Zufußgehen. Die E-Scooter sind demnach sogar dann auf Dauer ungesund, wenn man keinen Unfall mit ihnen baut.