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Der Abgas-Schmäh

Der CO2-Ausstoß von Neufahrzeugen sinkt. Jedoch nicht schnell genug. Dass säumige Hersteller tatsächlich zur Kasse gebeten werden, ist dennoch unwahrscheinlich.

Autohersteller nutzen Schlupflöcher für die Angaben des Emissionswert.
Autohersteller nutzen Schlupflöcher für die Angaben des Emissionswert.

Die Zahl 95 ist aktuell die Schlüsselzahl für die Autoindustrie in Europa. Seit Anfang des Jahres gilt in der Europäischen Union eine CO2-Obergrenze für Neuwagen. Mehr als 95 Gramm pro gefahrenen Kilometer dürfen Neufahrzeuge nicht ausstoßen - das entspricht einem durchschnittlichen Verbrauch von 3,6 Litern Diesel oder 4,1 Litern Benzin. Wer am Ende des Jahres darüberliegt, muss zahlen. Im Extremfall drohen sogar Strafen in Milliardenhöhe. Pro Gramm Überschreitung 95 Euro multipliziert mit der Zahl der verkauften Autos.

Der CO2-Ausstoß sank - Autohersteller nutzen Schlupflöcher

Laut einer aktuellen Erhebung des Europäischen Umweltdachverbands Transport & Environment (T&E), für den die Neuwagenverkäufe im ersten Halbjahr 2020 evaluiert wurden, sank der CO2-Ausstoß der Branche deutlich auf 111,2 Gramm. Noch im Vorjahr lag der Flottenwert über alle Marken noch bei 122,4 Gramm. Diese positive Tendenz ist erfreulich, allerdings nur die halbe Wahrheit. Zum einen wurden seit dem Shutdown im Frühjahr deutlich weniger Neuwagen verkauft als in den Jahren zuvor. Zum anderen bietet die Gesetzgebung der Europäischen Union den Herstellern eine Fülle von Schlupflöchern, um den statistischen Emissionswert zu drücken und damit den drohenden Milliardenstrafen zu entgegen. So hat die Volkswagen-Gruppe, die laut den T&E-Berechnungen noch fünf Gramm vom vorgeschriebenen Flottengrenzwert entfernt ist, bereits angekündigt, dass die Flottenemissionen mit Ford zusammengelegt werden. Zahlungen von bis zu einer Milliarde Euro könnten so verhindert oder zumindest verringert werden.

Die EU erlaubt dieses sogenannte Pooling von Herstellern. So zahlt Fiat-Chrysler beispielsweise 1,8 Milliarden Euro an Tesla, um von Nullemissionen des kalifornischen Elektro-Pioniers zu profitieren. Dass der italo-amerikanische Konzern dadurch schon jetzt die Vorgaben erfüllt, ist somit nur die halbe Wahrheit. Auch Mazda lässt seine Flotte statistisch mit Toyota zusammenlegen und ist damit bis an zwei Gramm am Zielwert dran.

Auf "ehrliche Weise" erfüllen hingegen die PSA-Gruppe (mit Peugeot, Citroën und Opel), BMW und Volvo das CO2-Durchschnittsziel - wobei die schwedische Nobelmarke mit dem chinesischen Mutterkonzern Geely zusammengefasst wird. Säumig sind aktuell vor allem Hyundai-Kia mit voraussichtlich sieben Gramm sowie Jaguar-Land Rover mit derzeit 13 Gramm über dem Grenzwert. Handlungsbedarf besteht auch bei Daimler: Bei den Erfindern des Automobils (mit den Marken Mercedes-Benz und smart) könnte das Defizit bis Jahresende laut T&E-Studie sogar neun Gramm betragen. Bei Daimler versucht man deshalb, so viele Plug-in-Hybride wie möglich zu verkaufen. Allein von Juli bis September hat Mercedes-Benz erstmals mehr als 10000 Teilzeit-Stromer verkauft. Diese profitieren extrem vom gesetzlichen WLTP-Prüfzyklus, da sie auf dem Papier trotz teils hoher Leistung einen CO2-Ausstoß von weniger als 50 Gramm pro Kilometer aufweisen.

Elektroautos senken den Flottenwert

Damit nicht genug: So gilt die Obergrenze von exakt 95 Gramm in der Praxis für keinen einzigen Hersteller. Vielmehr hängt der tatsächliche Wert vom durchschnittlichen Leergewicht der verkauften Flotte ab - ein Zugeständnis des Gesetzgebers an die europäischen Premium-Hersteller. Denn diese sähen sich ohne diesen Gewichtsausgleich in ihrem Geschäftsmodell bedroht, schließlich verdienen sie besonders am Verkauf leistungsstarker und schwerer Fahrzeuge. Darüber hinaus sind in einer Übergangsphase lediglich 95 Prozent der in Umlauf gebrachten Fahrzeuge für die Berechnung des Flottenverbrauchs relevant. In den Puffer von fünf Prozent können somit die größten Emittenten eines Herstellers "geparkt" werden. Die wirkungsvollste Maßnahme zur Senkung des Flottenwerts ist allerdings der Verkauf von Elektroautos. Diese finden mit null Gramm CO2 Eingang in die Statistik und werden darüber hinaus doppelt gezählt - wie auch die Plug-in-Hybride. Trotz Lieferengpässen bei neuen Batterieautos wie dem Audi e-tron oder dem Mercedes EQC oder der verspäteten Markteinführung des VW ID.3 stieg deren Marktanteil von drei Prozent im Vorjahr auf europaweit zehn Prozent und könnte im kommenden Jahr sogar einen Wert von 15 Prozent erreichen - nicht zuletzt aufgrund der Fördermaßnahmen.

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