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Der Faktor Mensch entscheidet

Bei der Wahl des täglichen Verkehrsmittels erlebt der eigene Pkw ein Revival. Eine aktuelle Studie untersucht, wie die Menschen zum Umstieg auf Öffis motiviert werden können.

Nikolaus Lang von der Boston Consulting Group gründete das „Center for Mobility Innovation“.
Nikolaus Lang von der Boston Consulting Group gründete das „Center for Mobility Innovation“.

Dass die Covid-19-Pandemie das Mobilitätsverhalten in den Städten nachhaltig verändern könnte, konterkariert die Bemühungen der öffentlichen Hand, die Bevölkerung zum Umstieg auf umweltfreundlichere Alternativen wie Bus und Bahn zu motivieren. Die aktuell für den Ausbau und die Qualitätsverbesserung der öffentlichen Verkehrsmittel zweckgebundenen Milliarden stehen ernüchternden Fakten gegenüber: So beträgt die durchschnittliche Auslastung eines Autos statistisch gerade einmal 1,45 Personen pro Fahrt - und das, obwohl die Mehrheit der Pkw zumindest vier Menschen bequem Platz bietet. Dazu kommt, dass ein Auto satte 95 Prozent seiner Lebensdauer im geparkten Zustand verbringt. Die Bezeichnung Fahrzeug wirkt so gesehen nur noch bedingt korrekt.

Vorurteilen gegenüber neuen Mobilitätsformen

Im Rahmen einer aktuellen Studie hat die Boston Consulting Group (BCG), eine der weltweit größten Strategieberatungsgesellschaften, untersucht, wie Städte die Bürger motivieren könnten, das eigene Auto öfter stehen zu lassen und stattdessen die vorhandenen Alternativen zu nutzen, um in der Folge Verkehrsstaus und Umweltverschmutzung entgegenzuwirken und die Sicherheit für die Verkehrsteilnehmer zu erhöhen. Der Fokus der Studie liegt dabei vor allem auf Verhaltensnormen und Vorurteilen, die die Bewohner der Städte gegenüber neuen Mobilitätsformen haben. Denn wenig überraschend wird die Wahl des Verkehrsmittels nur bedingt eine rationale oder ökonomische Entscheidung, sondern hat viel mit Emotionen und Symbolik zu tun. "Neben dem Besitzerstolz der Autofahrer spielt auch die Ambiguität eine Rolle", erklärt Nikolaus Lang, Managing Director und Senior Partner und als globaler Leiter des BCG Center for Mobility Innovation zuständig. "Vor die Wahl gestellt, entscheiden sich Menschen bevorzugt für das kalkulierbare Risiko, im Stau zu stehen, als für das unbekannte Risiko, dass beispielsweise ein Zug verspätet ist oder ausfällt." Verstärkt wird dies vom sogenannten Halo-Effekt: So neigen Autobesitzer dazu, vor allem die Vorteile der Motorisierung zu sehen, während die Nachteile erfolgreich verdrängt werden.

Covid-19 entscheidend bei Wahl des Transportmittels

Ein entscheidender Faktor bei der Wahl des Verkehrsmittels spielt seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie eine wachsende Rolle: die Angst. "Seit Beginn der Coronakrise sind die physische Distanz zu Mitreisenden sowie die Sauberkeit des jeweiligen Fahrzeugs die wichtigsten Faktoren bei der Entscheidung, ob ein öffentliches Verkehrsmittel genutzt wird", so Nikolaus Lang. Erst danach kommen die bisher wichtigsten Argumente wie Kosten, Zeit, Umweltschutz und Flexibilität. Ein Trend, der laut Experten zwölf bis 24 Monate anhalten wird, abhängig vom weiteren Verlauf der Krankheit. Lang: "Einerseits wird entscheidend sein, ob und wann es eine Impfung gegen das Virus geben wird. Andererseits bleibt abzuwarten, ob der aktuelle Trend zum Homeoffice über die tatsächliche Krisenzeit hinaus Bestand haben wird." Lag der Homeoffice-Anteil vor Corona bei 0,5 Prozent, so waren es während des Shutdowns 97 Prozent.

Vier Maßnahmen gegen die Nutzung des privaten PKW

Um die Hindernisse durch kognitive Vorurteile und kulturelle Normen abzubauen, empfiehlt der Experte von der Boston Consulting Group Städten und Ballungsräumen vier konkrete Maßnahmen. "Am wichtigsten ist es, den Menschen die Angst zu nehmen, sich in öffentlichen Verkehrsmitteln mit dem Coronavirus anzustecken", so Nikolaus Lang. Bereits umgesetzte Beispiele aus der Praxis zeigen, wie wirkungsvoll zielgerichtete Kommunikationsmaßnahmen sein können. So informiert etwa die Deutsche Bahn ihre Fahrgäste bereits bei der Onlinebuchung darüber, wenn die Reservierungsquote eines Zuges bei über 50 Prozent liegt. Auch bei der Londoner U-Bahn wird bereits am Bahnsteig angezeigt, wie voll der einfahrende Zug ist.

Eine weitere Maßnahme kann darin bestehen, auf die Bereitschaft der Menschen zu setzen, ein positives, soziales Selbstbild zu pflegen. "Das Ziel muss sein, einen gewissen Stolz auszulösen, nicht den privaten Pkw zu nutzen", erklärt Nikolaus Lang. "Während der Automarkt früher von starken Marken geprägt war, gilt heute beispielsweise der Fahrtendienst Uber in vielen Ländern als ,das bessere Taxi', mit sauberen Autos und gepflegten Fahrern, wo man es bisher nicht gewohnt war." Auf den Wunsch, sich an soziale Erwartungen anzupassen, baut auch die Strategie eines spielerischen Zugangs auf: So wie sich Sportler mithilfe ihres Fitnesstrackers spielerisch Punkte oder Abzeichen für sportliche Leistungen sammeln, könnten Städte ihre Bürger auch dafür belohnen, das Auto stehen zu lassen.

Die größte Hebelwirkung sieht Nikolaus Lang aber im intermodalen Ticketing: "Das Beispiel Helsinki zeigt, wie gut solche Angebote von der Bevölkerung angenommen werden." Auf der Plattform "Whim" können auf Basis einer Flatrate bis zu zwölf verschiedene Mobilitätsangebote der finnischen Hauptstadt genutzt werden.

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