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Der Traum vom eigenen Elektroauto

Ein Netzwerk Salzburger Leitbetriebe baut im Pinzgau ein regionales Elektroauto. 3D-Druck, künstliche Intelligenz und biogenes Design erweisen sich dabei als krisensichere Technologien.

Der Prototyp des Pinzgauer Elektroautos Enjoy soll bis Ende 2020 fertig sein. Rechts: Die Evolution eines Querlenkers (oben das Endresultat im „biogenen“ Design).
Der Prototyp des Pinzgauer Elektroautos Enjoy soll bis Ende 2020 fertig sein. Rechts: Die Evolution eines Querlenkers (oben das Endresultat im „biogenen“ Design).
Der Prototyp des Pinzgauer Elektroautos Enjoy soll bis Ende 2020 fertig sein. Rechts: Die Evolution eines Querlenkers (oben das Endresultat im „biogenen“ Design).
Der Prototyp des Pinzgauer Elektroautos Enjoy soll bis Ende 2020 fertig sein. Rechts: Die Evolution eines Querlenkers (oben das Endresultat im „biogenen“ Design).
Der Prototyp des Pinzgauer Elektroautos Enjoy soll bis Ende 2020 fertig sein. Rechts: Die Evolution eines Querlenkers (oben das Endresultat im „biogenen“ Design).
Der Prototyp des Pinzgauer Elektroautos Enjoy soll bis Ende 2020 fertig sein. Rechts: Die Evolution eines Querlenkers (oben das Endresultat im „biogenen“ Design).

Kaum zu glauben, aber wahr: Während die globale Autoindustrie mit ihren milliardenschweren Konzernen und gigantischen Fabriken seit Wochen stillsteht und Zehntausende Arbeiter um ihre Jobs bangen, hält ein loser Zusammenschluss regionaler Unternehmen am Traum vom eigenen zukunftsweisenden Elektroauto fest. Mehr noch: Ausgerechnet in Zeiten des vollständigen wirtschaftlichen Shutdowns forciert das ausschließlich aus Klein- und Mittelbetrieben bestehende Netzwerk das Tempo. Geht es nach Roland Haslauer, Geschäftsführer des Wirtschaftsberatungsunternehmens GFB & Partner und als solcher sozusagen der Kopf des Projekts, soll der Prototyp des "Enjoy" getauften kompakten Elektroautos bereits bis Ende des Jahres fertig sein. "Entgegen den Erwartungen erweist sich die gegenwärtige Krise sogar als regelrechter Katalysator für unser Projekt. Wir spüren aktuell enormen Rückenwind, weil unser regionales Netzwerk aktuell seine Stärken optimal ausspielen kann", erzählt Haslauer im Telefoninterview mit den SN. "Zum Beispiel haben wir vor gerade einmal 14 Tagen mit der Planung eines äußerst komplexen Fahrzeugteils begonnen, das nun bereits fertiggestellt ist."

Der Hintergrund: Aufbauend auf dem seit viereinhalb Jahren wachsenden Leuchtturmprojekt der "Solarroute" mit mittlerweile 120 kostenfreien Ladepunkten für Elektroautos im gesamten Bundesland, entwickelten die Projektpartner einen mehrstufigen Plan, der Salzburg zur Modellregion für Elektromobilität machen soll (siehe Interview in den SN vom 14. März). Neben der kosten- und anmeldefreien Ladeinfrastruktur sieht der mehrstufige Plan auch ein serviceorientiertes Carsharing-Angebot sowie - als vorläufige Krönung - den Bau eines
eigenen Elektroautos vor, das in weiterer Folge im Rahmen des Carsharings genutzt werden soll. "Unser wichtigster Antrieb besteht darin zu beweisen, dass der Bau eines ernst zu nehmenden Fahrzeugs nicht nur mehr in Wirtschaftsräumen mit niedrigen Lohnkosten möglich ist, und dass dafür nicht zwingend die riesigen, milliardenteuren Fertigungsstraßen der Großkonzerne notwendig sind", berichtet Haslauer. Das Pflichtenheft für den Enjoy umfasst dabei Ziele, die selbst erfahrene Automobilexperten ins Schwitzen bringen. So soll das kompakte Elektroauto ausreichend Platz für vier Personen und einen nennenswerten Kofferraum bieten, ohne Fahrer und Akku nicht mehr als 450 Kilogramm wiegen und dabei ausschließlich auf regionale Materialien und Kompetenzen zurückgreifen. Dass hochrangige Vertreter aus der Automobilzuliefererindustrie bei Besuchen in Zell am See nicht selten darum bitten, das ein oder andere präsentierte Bauteil fotografieren zu dürfen, sieht Roland Haslauer als Bestätigung. Begonnen hat man vor mittlerweile drei Jahren damit, ein kleines Auto aus der Großindustrie in sämtliche Einzelteile zu zerlegen. In weiterer Folge wurden nur mehr jene Teile verwendet, die man für absolut notwendig erachtet hat. Vereinfacht wurde das Ganze durch den Fokus auf einen reinen batterieelektrischen Antrieb, der weit weniger komplex ist als konventionelle Verbrennungsmotoren. In Hinblick auf die strengen Vorgaben für eine spätere Straßenzulassung wird das Projekt von Beginn an vom TÜV München begleitet.

"Unsere Vorgabe, das Fahrzeug um mehr als 250 Kilogramm abzuspecken, kann nur durch die konsequente Anwendung des klassischen 80:20-Prinzips erreicht werden - also dem Ansatz, mit 20 Prozent der Ressourcen 80 Prozent der Ziele zu erreichen", erklärt Roland Haslauer, der es sich persönlich zur Aufgabe gemacht hat, am gewohnten Glaubensgebäude der Autoindustrie zu rütteln. "Meines Erachtens hat sich die
Branche viel zu lang auf den Meriten der vergangenen Jahrzehnte ausgeruht. Umso schwerer tut man sich nun damit, sich auf die Anforderungen einer neuen Zeit einzustellen. Wir behaupten: Man braucht in
Zukunft keine Hochleistungsgetriebe mit zehn Gängen und komplexe Verbrennungsmotoren mit 800 Teilen mehr. Im Gegenteil: Moderne Technologien wie der 3D-Druck
ermöglichen affenartige Entwicklungsgeschwindigkeiten, ohne dass sich das Hamsterrad immer noch schneller drehen muss." Tatsächlich sind Arbeitsschritte, für die früher Monate veranschlagt wurden, heute in einem Bruchteil der Zeit möglich. Haslauer: "Wenn jemand am Morgen beim Frühstück eine Idee hat, kann diese zu Mittag mit den Spezialisten besprochen werden. Die Datenerfassung für den 3D-Drucker erfolgt dann am Nachmittag, sodass der fertige Bauteil bereits am Abend hergestellt werden kann."

Doch die Zeitersparnis ist nur ein Vorteil des 3D-Druckverfahrens, auf dem das Projekt Enjoy aufbaut: Im Vergleich zu traditionellen Dreh- oder Fräsverfahren, wo teileweise bis zu 80 Prozent des aufgewendeten Materials als Abfall enden, gibt es beim 3D-Druck keine derartige Verschwendung. Und das spart wiederum Kosten und Energie. Die Leistungsfähigkeit moderner 3D-Drucker übertrifft selbst die kühnsten Erwartungen der Beteiligten. So haben sich die Geschwindigkeiten binnen vier Jahren mehr als verhundertfacht, mehr als 180 verschiedene Materialien plus deren Kombinationen stehen mittlerweile zur Verfügung. "Entgegen der weit verbreiteten Meinung hat 3D-Druck nichts mehr mit der Erzeugung von Spielzeug zu tun, sondern ist ein leistungsfähiges Werkzeug für Prototypen und Vorserien - und in bestimmten Bereichen durchaus auch für die Serienproduktion geeignet", ist Roland Haslauer überzeugt.

Am Firmensitz von GFB & Partner in Zell am See verfolgt man beim 3D-Druckverfahren zudem den Ansatz des biogenen Designs in Kombination mit künstlicher Intelligenz. Bauteil für Bauteil wird dabei buchstäblich auf das mögliche Gewichtseinsparungspotenzial durchleuchtet, als Vorbild dienen dabei die Muster der Natur. Für die Erledigung der enorm komplexen Aufgabenstellungen nutzt man die Möglichkeiten eines Supercomputers im Silicon Valley - der einzige Aspekt des Projekts, der nicht in der unmittelbaren Region stattfindet, wir Roland Haslauer betont. Die Resultate sind verblüffend: Nach mehreren Entwicklungsschritten wiegen klassische Kfz-Bauteile wie ein Querlenker oder die besonders komplexe Aufhängung der Flügeltüren des Enjoy um bis zu
80 Prozent weniger als die vergleichbaren Produkte aus der Großserie.

Geht es nach den Zielen des Projektleiters, soll das finale Konzept des Enjoy als 1-zu-5-Modell bereits Ende April fertiggestellt sein. Dabei handelt es sich um den finalen Schritt vor dem Prototyp, der noch im Laufe des Jahres folgt. Dessen Wertschöpfung soll dann zu zwei Dritteln in Österreich liegen - dafür sorgen unter anderem Bodenteppiche aus Tiroler Loden, die Sitzpolsterung aus Pinzgauer Hirschleder sowie die als 3D-Furnier gepressten Leichtbau-Sitzmöbel aus heimischem Holz. Neben dem konkreten Fahrzeug geht es den Pinzgauer Pionieren aber vor allem darum aufzuzeigen, dass die jüngst so oft beschworene Rückbesinnung auf die regionalen Stärken schon jetzt gelebt werden kann. Oder wie Roland Haslauer es ausdrückt: "Die Freude, etwas selbst einfach, schnell und preiswert zu gestalten, kann unsere Gesellschaft nachhaltig verändern."

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