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Stellantis-Chef Carlos Tavares: "Die EU macht viele Fehler"

Carlos Tavares feuerte in Paris Breitseiten gegen die Politik. Der Stellantis-Chef ist verantwortlich für 14 Marken und 282.000 Mitarbeiter.

Stellantis-CEO Carlos Tavares (r.) nimmt sich im Gespräch mit der Politik kein Blatt vor den Mund – und Emmanuel Macron (Mitte) hört zu.
Stellantis-CEO Carlos Tavares (r.) nimmt sich im Gespräch mit der Politik kein Blatt vor den Mund – und Emmanuel Macron (Mitte) hört zu.

Ein Gespräch mit dem Pragmatiker aus Lissabon ist immer eine Bestandsaufnahme der Gegenwart mit Ausblicken in die Zukunft. Gegenüber den Mitgliedern der paneuropäischen Autobest-Jury nahm Carlos Tavares (64), Vorstandschef des aus PSA und FCA gebildeten Stellantis-Imperiums (282.000 Mitarbeiter weltweit, 152 Mrd. Euro Umsatz 2021) im Rahmen des diesjährigen Autosalons in Paris Stellung zur wachsenden Präsenz chinesischer Hersteller in Europa und den - seiner Meinung nach - Versäumnissen der EU-Politik.

"Unsere Mitarbeiter haben durch immensen Einsatz dazu beigetragen, dass wir bisher gut durch ein chaotisches Umfeld gekommen sind." Mit einem Lob begann Tavares seine Ausführungen. Was kommen wird, beschrieb er so: "Wir haben enorm starke Konkurrenz, von Tesla bis zu den Chinesen. Wir fahren mit Höchstgeschwindigkeit auf die nächste Kurve zu, aber wir müssen durch sie kommen. Die Kurve heißt Elektrifizierung. Wir werden auch da mit vollem Speed durchfahren."

EU hat die europäische Autoindustrie der Konkurrenz aus Asien ausgesetzt

Klar ist seine Position, was den Aufmarsch der Asiaten - vor allem aus China plus VinFast aus Vietnam betrifft: "Die asiatischen Hersteller sind für uns eine große, ernste Bedrohung. Erstens, weil sie schöne Autos machen, das müssen wir anerkennen. Zweitens, weil sie im Preis sehr aggressiv vorgehen. Ich kenne ihre Ziele in der Profitabilität nicht, aber es könnte sein, dass sie mit aller Kraft Marktanteile in Europa gewinnen wollen. Wir werden den Kampf aufnehmen und Härte zeigen." Doch Tavares ortet ein markantes Ungleichgewicht: "Es ist schmerzhaft zu sehen, dass diese Situation durch die Europäische Union herbeigeführt wurde. Denn wir arbeiten unter ganz anderen Bedingungen als die Asiaten. Das Mindeste ist, die EU zu bitten, für die Asiaten in Europa dieselben Konditionen zu bieten, wie wir sie in China vorfinden. Wir brauchen reziproke Marktbedingungen. Wenn der Kampf über den Preis geführt wird, wird es hart für uns. Der europäische Markt ist derzeit weit offen für chinesische Importe. Aber der chinesische ist es nicht für uns. Wir anerkennen ihre Leistungen in Design und Technik. Europa öffnete sich, obwohl wir wussten, dass die Chinesen in der Elektrifizierung zehn Jahre Vorsprung haben. Das war nicht sehr weise. Ich hoffe, dass die EU das korrigiert. Darüber habe ich schon mit einigen Spitzenpolitikern gesprochen." Wie auf dem Pariser Salon Ende Oktober, als er - wie auch sein Kontrahent Luca de Meo von Renault - mit Frankreichs Präsidenten Emanuel Macron konferierte.

"Die EU wird nicht um die Einführung von Zöllen herumkommen, wenn sie die europäische Industrie retten will", bekräftigte Tavares. Die Transformation zu "grüner" Mobilität sieht er aufgrund der Rahmenbedingungen äußerst kritisch: "Es ist sinnlos, grüne Autos zu wollen, ohne ausreichend grüne Energie zur Verfügung zu haben. Viele NGOs verlangen kleinere E-Autos mit weniger Ressourcenverbrauch an Rohstoffen. Was aber ist dann mit größeren Familien? Auch wir haben bald E-Modelle mit 600 bis 700 Kilometern Reichweite, wie von den Kunden verlangt werden. Aber um die zu erreichen, müssen wir 400 bis 500 Kilogramm schwere Batterienpakete mitschleppen. Damit wird ein Auto nicht nur schwer, sondern auch teuer." Zur wirklichen Energiewende sei es noch weit, meinte Tavares: "Wenn wir von 80 Prozent fossiler Energie zu 80 Prozent erneuerbarer Energie kommen wollen, brauchen wir dafür 20 Jahre. Das ist Fakt, darunter geht es nicht. Dazu brauchen wir ein ganz dichtes Netz an Schnellladestationen, an denen Ladung in wenigen Minuten möglich ist. Wir brauchen davon das Zehnfache des jetzigen Bestands. Das ist eine Mammutaufgabe, die zehn Jahre dauern wird. Anstatt diese Voraussetzungen zu schaffen, ist es leichter für die Politik, den Autobauern die Pistole an den Kopf zu setzen und zu sagen: Tu das, oder du stirbst."

EU-Politikern fehlt strategisches Denken

Ein Freund der (autofeindlichen?) EU-Politik dürfte der Portugiese wirklich nicht sein, denn er kritisierte: "Wir haben 30 Elektroautos im Portfolio. Aber ich suche nach grüner Energie und nach Ladestationen. Die EU hat fundamentale Fehler gemacht. Mit dem Beschluss des Verbrennerverbots ab 2035 in der EU müssen wir frontal gegen die Chinesen antreten. Was ich dabei kritisiere - und ich scheue den Kampf nicht - ist, dass die EU rein dogmatisch vorgeht und nicht pragmatisch. Ohne vorangehende Studien über alle Auswirkungen. Aus demokratischer Sicht ist das ein klarer Fehler. Das EU-Parlament hat weder Studien als Grundlage angefordert noch diese Entscheidung auf fundierter Basis getroffen."

"Beim Verbrennerverbot handelt die EU dogmatisch, nicht pragmatisch."
Carlos Tavares, CEO Stellantis

Die Klimarettung, sagte Tavares, sei nicht möglich ohne saubere Energie. Zur Kundenakzeptanz brauche es aber ein ganz dichtes Netzwerk an Ladestationen. Und es bräuchte Materialien für Batterien, die nicht den Preiskampf befeuerten: "Es ist erstaunlich, wie sehr das strategische Denken den EU-Politikern fehlt. Es wird Zeit für sie zu verstehen, dass sie pragmatisch denken müssen." Nicht als CEO von Stellantis, sondern als Bürger Europas "werde ich gegen jede Regierung kämpfen, die mir die Freiheit der Mobilität nehmen will. Ich kenne bis jetzt keinen Politiker, der sich dazu bekannt hat, weil keiner diese Frage beantworten will. Dass darüber nicht gesprochen wird, ist ein weiterer Fehler. Und auch darüber wird nicht diskutiert, warum manche Organisationen und Politiker die Autoindustrie umbringen wollen."

Tavares sieht bereits düstere Aspekte: "Wenn die Masse der Bevölkerung erkennt, dass die Freiheit der Mobilität beendet werden soll, wird sie demonstrieren. Das wird bald passieren. Deshalb bekämpft die Politik auch die Inflation, denn andernfalls wird der Aufruhr beginnen."