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Giftiger Bremsfeinstaub: Wer bremst, verliert

Moderne Pkw verursachen beim Bremsen mehr Feinstaub als durch ihre Motoren. Grundlagenforschung an der TU Graz soll helfen, Messgeräte für Bremsabrieb zu entwickeln.

Zum Thema Bremsabrieb fehlt es bislang an wissenschaftlichem Basiswissen und gesetzlichen Reglementierungen.
Zum Thema Bremsabrieb fehlt es bislang an wissenschaftlichem Basiswissen und gesetzlichen Reglementierungen.

Zuerst die gute Nachricht: Die immer strengeren Abgasnormen und Luftschutzgesetze führen dazu, dass moderne Verbrennungsmotoren immer weniger gesundheitsgefährdenden Feinstaub emittieren. Nur leider ist das grundsätzliche Problem der mikroskopisch kleinen und extrem gesundheitsschädlichen Teilchen aus dem Verkehr damit nicht aus der Welt. Ganz im Gegenteil: Immer schwerere und vor allem immer mehr Fahrzeuge auf unseren Straßen sorgen dafür, dass die von Pkw und Lkw verursachte Feinstaubbelastung seit Jahren weiter ansteigt. Laut Schätzungen ist der Anteil der sogenannten Nicht-Abgas-Partikelemissionen bereits seit Einführung der Euro-6-Abgasnorm im Jahr 2012 höher als jene des Feinstaubs, der aus dem Auspuff kommt. Dabei handelt es sich vorrangig um Brems- und Reifenabrieb. Spätestens seit dem Jahr 2018, so vermuten Forscher, übersteigt allein die Menge des beim Bremsen verursachten Feinstaubs jene, die in Abgasen von Benzin- und Dieselmotoren enthalten sind.

Der Bremsabrieb ist hochgiftig

In Expertenkreisen herrscht weitestgehend Einigkeit darüber, dass die beim Bremsvorgang in die Luft gewirbelten Nanopartikel hochtoxisch und somit für den Menschen potenziell krebserregend sind. Das Hauptproblem besteht vor allem darin, dass die für Scheiben und Beläge verwendeten Elemente, darunter Kupfer, Chrom, Zinn, Magnesium, Barium oder Zirkonium, bei starken Bremsmanövern chemisch miteinander reagieren und sich dadurch verändern. Bei Temperaturen von bis zu 700 Grad Celsius entstehen dann flüssige, teilweise sogar gasförmige Verbindungen, die - einmal freigesetzt - auch noch mit dem Sauerstoff der Luft oxidieren. Wie gefährlich dieser Giftcocktail tatsächlich ist und was er in unseren Lungen anrichten kann, ist bis dato kaum erforscht. Was vor allem daran liegt, dass heute noch kaum brauchbare Messgeräte für diesen Zweck existieren.

Bild: SN/© Helmut Lunghammer
Niemand weiß, wie groß das Problem tatsächlich ist.
Peter Fischer, Fahrzeugtechniker, TU Graz

An diesem Punkt kommt Peter Fischer, Vorstand des Instituts für Fahrzeugtechnik an der Technischen Universität Graz ins Spiel. Gemeinsam mit seinem Team hat er es sich zum Ziel gemacht, seriöse Messmethoden sowie die dazu notwendigen technischen Geräte zu entwickeln. "Die Probleme beginnen damit, dass der Bremsabrieb viel schwieriger messbar ist als beispielsweise die Abgase der Motoren, die bekanntlich konzentriert aus dem Auspuff kommen", erklärt der Wissenschafter. Gemeinsam mit Doktorand Michael Huber und mit Unterstützung des Grazer Zulieferunternehmens AVL sucht man fieberhaft nach Möglichkeiten, den Bremsabrieb direkt bei der Entstehung einzufangen, zu messen und zu analysieren.

Die Zeit drängt

Laut Fischer arbeitet man auf EU-Ebene seit einigen Jahren daran, im Rahmen des Particle Mesurement Program gesetzliche Regelungen zu entwickeln, um den Partikelausstoß aus den Kfz-Bremsen wirkungsvoll zu reduzieren. Nach derzeitigem Wissensstand soll das Gesetz im Jahr 2027 in Kraft treten. "Doch dafür müsste man die Emissionen erst einmal exakt messen können", gibt Peter Fischer zu bedenken. "Es besteht deshalb aus heutiger Sicht Grund zur Besorgnis, dass am Ende ein völlig unrealistischer Fahrzyklus herauskommt, der nicht dem Fahrverhalten in der Praxis entspricht und deshalb nur minimale Emissionen erzeugt." Gerade in alpinen Ländern wie Österreich treten etwa auf Passstraßen lokal stark konzentriert chemisch andere, weitaus kritischere Emissionen auf als in flachen Gegenden. "Eine gesetzliche Reglementierung auf Basis so vieler unbekannter Faktoren würde für die Umwelt so gut wie gar nichts bringen", ist der Experte sicher. Und führt als abschreckendes Beispiel den aktuell gültigen WLTP-Fahrzyklus an: "Auch hier wird stärker beschleunigt als gebremst, was aus Perspektive der Bremsstaubproblematik absolut unrealistisch ist."

Spannungen zwischen Industrie, Kosten und Gesundheit

Und die bestehenden Wissenslücken sind nicht die einzige Hürde auf dem Weg zu weniger giftigem Bremsabrieb. "Wir bewegen uns hier in einem Spannungsdreieck zwischen Industrie, Kostendruck und der Gesundheit der Menschen", erklärt Peter Fischer. "Bei den Bremsen handelt es sich schließlich um ein hochkomplexes, sicherheitskritisches System bei einem Fahrzeug, das keinesfalls kaputt gehen darf, nicht zu viel wiegen, aber dennoch möglichst billig in der Anschaffung sein soll."

Kurios: 80 Prozent der Entwicklungskosten für neue Bremssysteme flossen in der jüngeren Vergangenheit in den Bereich der Akustik. Den Autokäufern und damit auch den Herstellern ist es offenbar wichtiger, dass die Bremsen eines Neuwagens nicht quietschen, als dass sie weniger Feinstaub an die Umwelt abgeben. Umso wichtiger ist aus Sicht des Fahrzeugtechnikers Peter Fischer die Feststellung, dass die Verbesserung der existierenden Bremssysteme nur eine Schraube ist, an der man drehen sollte. "

Vorausschauendes Fahren verringert Bremsfeinstaub

Der weitaus größere Hebel besteht darin, dass jeder einzelne Autofahrer vorausschauender unterwegs ist. Je kühler die Bremse, desto geringer sind die Feinstaubemissionen." Jedes Bremsmanöver, das man sich spart, hilft demnach der Umwelt und der Gesundheit. Laut Peter Fischer sollte man das durchaus auch als Motivation für die Forschung, aber auch für die Politik sehen: "Über die gezielte Steuerung des Verkehrsflusses könnte man hier viel erreichen - etwa, indem man ganz einfach die Verkehrszeichen von Tempolimits anders platziert, sodass die dadurch initiierten Bremsmanöver weniger stark ausfallen."

E-Autos punkten mit Rekuperation

Spannende Effekte bringen die immer häufigeren Elektroautos mit sich. "Durch die Möglichkeit der Rekuperation ohne Betätigung der Bremse hat der Nutzer hier noch viel mehr Möglichkeiten zur Vermeidung von Feinstaub", so Fischer. Allerdings wirke sich das höhere Gewicht von E-Autos bei harten Bremsmanövern umso negativer aus. Leistungsfähige Stromer bieten allerdings oftmals höhere Rekuperationsfähigkeiten, was sich durchaus positiv auswirken kann.