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In Helsinki wird das Auto überflüssig

Als eine der am stärksten wachsenden Städte in der EU denkt Helsinki den Nahverkehr völlig neu. Autobahnen werden rückgebaut, Straßenkreuzungen verkehrssicherer gestaltet und Smartphone-Apps für Sharing-Dienste programmiert.

Vorrang für Radfahrer und Öffis, Einschränkungen für den Autoverkehr – das ist in Helsinki gelebte Politik.
Vorrang für Radfahrer und Öffis, Einschränkungen für den Autoverkehr – das ist in Helsinki gelebte Politik.

Mit knapp 700.000 Einwohnern zählt Finnlands größte Stadt Helsinki zu den kleineren Hauptstädten innerhalb der Europäischen Union. Doch der Schein trügt: Denn die offizielle Einwohnerzahl umfasst praktisch nur die historische Innenstadt, wo die alte, gelb-grüne Straßenbahn nicht nur Touristen von A nach B bringt. Der weitaus größere Teil Helsinkis ist deutlich jünger als die Tram und wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut. Zählt man die im Halbkreis um das kleine Zentrum am Wasser angelegten neuen Viertel sowie die Vorstädte hinzu, so leben schon jetzt rund 1,5 Millionen Menschen in Helsinki. Und geht es nach den finnischen Stadtplanern, so sollen es bis zum Jahr 2050 sogar zwei Millionen sein.

Ausbau des Nahverkehrs für 1,5 Millionen Menschen in Helsinki

Um dem wachsenden Mobilitätsbedürfnis gerecht zu werden, hat die Stadtregierung den Nahverkehr stark ausgebaut. Die einzige Metrolinie der Stadt wurde bis in die Nachbarstadt Espoo verlängert, 2015 eröffnete die Ringbahn, eine Regionalbahn, die den internationalen Flughafen an das Stadtzentrum anbindet. Geplant ist zudem eine neue Straßenbahnlinie namens Jokeri, die einen Außenring um Helsinki bilden soll.

Wenig Raum für Autos: Autobahnteile sollen in Finnlands Hauptstadt abgerissen werden

Und auch das andernorts unantastbare Straßennetz ist den Stadtplanern in Helsinki nicht heilig. Aktuell führen die sieben wichtigsten Hauptverkehrsadern Finnlands bis tief in die Stadt, unter ihnen auch die viel befahrene Valtatie 3, die A3 des skandinavischen Landes. Geht es nach den Stadtplanern Helsinkis, sollen die letzten Autobahnkilometer im Stadtzentrum rigoros abgerissen werden. An ihrer Stelle sollen breite Boulevards entstehen, mit jeder Menge Platz für Freizeitaktivitäten, neue Straßenbahnlinien und Fahrradwege. Auf den frei werdenden Flächen sind neue Wohnviertel mit Platz für bis zu 250.000 Menschen geplant, aber möglichst wenig Raum für Autos.

Helsinkis Mobilitätswende unaufhaltbar

Wenngleich die staatliche Verkehrsbehörde bislang vier der geplanten sieben Teilabrisse juristisch verhinderte, scheint die nachhaltige Mobilitätswende in Helsinki kaum noch aufhaltbar. So wird ein anderer, stark wachsender Stadtteil - das auf einer Halbinsel liegende Laajasalo - mit einer Brücke erschlossen. Bei der geplanten Eröffnung 2023 wird die neue Kruunusillat, die "königliche Brücke", für die Straßenbahn und den Radverkehr freigegeben. Autofahrer werden weiterhin den längeren Weg außen herum nehmen müssen.

Radfahrer haben Vorrang

Generell genießt der Radverkehr in Finnlands Hauptstadt seit einigen Jahren Vorfahrt. Schon vor einigen Jahren wurde eine der wichtigsten Ausfallstraßen, die Hämeentie, grundlegend umgestaltet. Im Teilabschnitt durch den Stadtteil Kallio herrscht seither ein Durchfahrverbot für Autos, Ausnahmegenehmigungen gibt es für Anrainer. Breite, baulich getrennte Radwege auf beiden Straßenseiten und mehr Platz für Straßenbahnen, Busse und Fußgänger findet man jetzt dort, wo vorher die Verkehrslawinen stauten. Bereits 2012 eröffnete Helsinki die erste Fahrradautobahn "Baana", die entlang einer alten Bahntrasse vom Hauptbahnhof nach Ruoholahti am Westhafen führt. Eine weitere Baana, die vom Zentrum aus in die östlichen Stadtteile führen soll, ist bereits in Planung. Doch nicht nur große Infrastrukturprojekte, auch vergleichsweise kleine Korrekturen sollen Helsinki lebenswerter und vor allem sicherer machen. Während die Tempolimits 2018 auf Hauptstraßen von 50 auf 40 km/h und auf Nebenstraßen von 40 auf 30 km/h reduziert wurden, werden nun besonders gefährliche Straßenkreuzungen adaptiert, indem die Fahrspuren für Autos verengt und die Gehsteige verbreitert werden.

Ein Erfolg ist auch die App "Whim,, mit der man ein Ticket für den Weg durch Helsinki kaufen kann, egal womit man fährt. Auch ein Abo ist im Angebot, demnächst wird der Service um Leihfahrräder und Boote erweitert.