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Innerdeutsche Flüge könntenzum Großteil überflüssig werden

Der Ausbaubedarf der Deutschen Bahn ist enorm. Experten beklagen, dass die Infrastruktur kaputtgespart werde. Dagegen ist die neue ICE-Strecke München-Berlin ein Leuchtturm dafür, wie die Bahn das Flugzeug ersetzen kann.

Kurzstreckenflüge stehen in Deutschland wie in Österreich auf dem Prüfstand.
Kurzstreckenflüge stehen in Deutschland wie in Österreich auf dem Prüfstand.

Till Ackermann leitet den Bereich Volkswirtschaft im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. Im SN-Gespräch zeigt der Experte schwere Versäumnisse, aber auch Zukunftsperspektiven im öffentlichen Verkehr auf.

Herr Ackermann, welche Infrastrukturen braucht der öffentliche Verkehr noch? Wie sehen Sie konkret den Ausbaustatus der Bahn im Vergleich zu den Autobahnen? Till Ackermann: Wir brauchen viel mehr Bahnlinien. Wir haben in den vergangenen 50 Jahren leider zahlreiche Linien stillgelegt. Viele davon sollten wieder reaktiviert und vollständig elektrifiziert werden. Wir brauchen auch neue Trassen für den Güterverkehr. Was sich in Hinblick auf den Zulauf zum Brennerbasistunnel und Gotthardtunnel abspielt, ist ein Trauerspiel. Darüber hinaus fehlen in Deutschland Bahnstrecken für den Güterverkehr im Rheintal, es fehlen leistungsfähige Knoten im Personenverkehr, es fehlen Ost-West-Achsen. Der Fernverkehr hat viel Neubau- und Nachholbedarf.

Wir haben unsere Verkehrsinfrastruktur kaputtgespart. Denken Sie nur an das Thema Brücken.

Ist die neue ICE-Verbindung München-Berlin nicht ein positives Signal Absolut. Solche Städte-Schnellverbindungen können ein wesentlicher Beitrag zur Klimabilanz werden. Zwischen Köln und Frankfurt fliegt bereits kein Flugzeug mehr, weil man in der Zeit, in der man einchecken müsste, mit der Bahn schon am Ziel ist. Die Bahn hat tatsächlich die Chance, den innerdeutschen Flugverkehr und vieles vom Autoverkehr zu übernehmen. Aber man muss beim Ausbau auf Zukunft setzen und darf auf keinen Fall die Kapazitäten verringern, wie das beim neuen Hauptbahnhof Stuttgart geschehen ist. Da gibt es bereits jetzt größte Zweifel, ob der Tiefbahnhof mit seinen nur acht Gleisen zukunftsträchtig ist.

Heißt die Perspektive, innerdeutsche Flüge werden dank schneller Bahnverbindungen überflüssig? Das ist eine Zielsetzung, die ich zwar nicht absolut setzen würde, aber die Bahn hat das Potenzial, diese kurzen Städteflüge von der Qualität her überflüssig zu machen. Das globale Ziel muss sein, dass der gesamte Verkehrssektor bis 2050 klimaneutral wird. Das ist unmöglich mit einem "Weiter-so"-Szenario, das davon ausgeht, dass der motorisierte Individualverkehr um zehn Prozent wachsen werde. Dagegen steht ein Szenario, wonach der Individualverkehr um die Hälfte abnehmen muss. Das müssen wir im Rahmen des Klimaschutzes angehen.

Derzeit gibt es in Deutschland große Auseinandersetzungen um Fahrverbote für Diesel-Pkw in Städten. Wie müssen die Verkehrsflächen in den Städten künftig aufgeteilt werden? Heute erleben wir noch überall die Folgen des Leitbilds der autogerechten Stadt. Wir sind weit weg von einer idealen Aufteilung der Flächen. Der öffentliche Nahverkehr muss Vorrang haben. Wir brauchen ein Radwegenetz und wir brauchen mehr Aufenthaltsqualität: Der Fußgänger muss sich an den Verkehrswegen wieder wohlfühlen und das Auto muss mit viel weniger Platz auskommen.
Das ist möglich, wenn man Mobilität auf den öffentlichen Verkehr verlagert. Es gibt bereits Pilotversuche mit Kleinbussen und entsprechend Apps. Sie sagen mit dem Smartphone, ich möchte jetzt von A nach B, und das Smartphone sagt Ihnen, an welcher Kreuzung Sie in fünf Minuten ein Kleinbus abholt und zur nächsten ÖV-Haltestelle bringt - mit weiteren Fahrgästen, die ein ähnliches Ziel haben.
Damit löst der öffentliche Verkehr das Problem des letzten Kilometers zwischen Start- oder Zielort und der nächstgelegenen ÖV-Haltestelle. Es kann Mobilität auch dort angeboten werden, wo ein großer Bus sich nicht lohnt. Der ÖV könnte flächendeckend und rund um die Uhr verfügbar sein. Das brächte Menschen zum Umsteigen und würde den vermeintlichen Komfortvorteil des Autos ausgleichen.

Sind autonome Fahrzeuge die Bedingung dafür? Die sind die Bedingung dafür, dass ein solches System wirtschaftlich sein kann. Ein Demand-Verkehr mit Kleinbussen mit sechs Sitzen hinter einem Fahrer kann nicht wirtschaftlich sein. Dafür müsste man 50 bis 80 Prozent des Taxi-Preises verlangen. Wenn ich mir dagegen durch autonome Fahrzeuge den Fahrer spare, bin ich nahe bei den derzeitigen ÖV-Kosten.

Wann rechnen Sie mit solchen autonomen Fahrzeugen in einzelnen Stadtbezirken? Die euphorischen Aussichten wurden jüngst von der deutschen Autoindustrie nach hinten verschoben. Ich höre aber, dass man sich ab etwa 2024 das Thema Stadtverkehrsauto zutraue. Für den öffentlichen Verkehr reicht es ja vollkommen, wenn sich ein solches Fahrzeug in einem beschränkten, klar definierten Gebiet autonom bewegen kann. Wir wollen die Menschen ja nur zur nächsten Haltestelle oder von dieser nach Hause bringen. Das werden autonome Fahrzeuge Mitte des nächsten Jahrzehnts können. Dabei ist das genaue Jahr nicht so bedeutsam, denn wir müssen die Menschen ohnehin erst an diese Art von ÖV "on demand" gewöhnen.
Was wir nicht brauchen, sind riesige Flotten kleiner Zweisitzer. Die würden die Städte überfluten.

Welche Rolle spielt der Preis im öffentlichen Verkehr? Der Preis spielt in der politischen Diskussion eine größere Rolle als für den Fahrgast. Am Schluss entscheidet der Fahrgast hauptsächlich über den Komfort. Wo kein Angebot ist, kann er auch nicht einsteigen. Wenn die Unternehmen die Einnahmen aus den Fahrkarten nicht mehr hätten, würde das wohl zu einer Einschränkung des Angebots führen. Ich bin dafür, dass wir im Gegenteil das Angebot ausweiten und der Nutzer seinen gerechten Anteil daran bezahlt.

Mobilität soll nicht kostenlos sein. Denn Mobilität verbraucht Ressourcen. Aber ich bin ein Freund von wahren Preisen. Und da steht fest, dass das Auto seine Kosten bei Weitem nicht bezahlt. Der wesentliche Faktor ist daher, dass der Pkw seine externen Kosten und die verursachten Umweltschäden mitbezahlt. Dann gibt es auch genug Geld für ein öffentliches Angebot, das die Menschen aus dem Auto herauslocken kann. Es geht immer um ein Push-Pull-System: einerseits Roadpricing und Parkraumbewirtschaftung, andererseits ein attraktives Angebot im öffentlichen Verkehr "von Haustür zu Haustür".


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