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Klimasünder oder Öko-Pioniere: nachhaltige Automobilindustrie

Klimasünder oder Öko-Pioniere: Die großen Autohersteller entdecken die Nachhaltigkeit für sich. Doch wie lautet der Grund für den späten Sinneswandel?

Immer mehr Autohersteller setzen auf das Thema Nachhaltigkeit.
Immer mehr Autohersteller setzen auf das Thema Nachhaltigkeit.
BMW unterstützt das Projekt „The Ocean Cleanup“ von Boyan Slat (oben), setzt aber wie unzählige andere Hersteller auch massiv auf E-Autos und nachhaltige Stromerzeugung.
BMW unterstützt das Projekt „The Ocean Cleanup“ von Boyan Slat (oben), setzt aber wie unzählige andere Hersteller auch massiv auf E-Autos und nachhaltige Stromerzeugung.
PR-trächtig: Das berühmte Vierzylindergebäud<unbenannt></unbenannt>e in München wurde zur Batterie.
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Vorzeigeprojekt: Die Regelenergie-Stromerzeugung bei BMW soll dabei helfen, Stromschwankungen im öffentlichen Netz auszugleichen.
Vorzeigeprojekt: Die Regelenergie-Stromerzeugung bei BMW soll dabei helfen, Stromschwankungen im öffentlichen Netz auszugleichen.
Bei der Volkswagen-Tochtermarke Seat steht neben der Elektromobilität auch Biomethan als alternativer und vor allem umweltverträglicher Kraftstoff im Fokus. Seat
Bei der Volkswagen-Tochtermarke Seat steht neben der Elektromobilität auch Biomethan als alternativer und vor allem umweltverträglicher Kraftstoff im Fokus. Seat
Für bestmögliche Transparenz und Sicherheit in der Lieferkette setzt Volkswagen zudem auf die Blockchain-Technologie. Digitale Zertifikate machen es möglich.
Für bestmögliche Transparenz und Sicherheit in der Lieferkette setzt Volkswagen zudem auf die Blockchain-Technologie. Digitale Zertifikate machen es möglich.

Größer, schneller und stärker - so lautete jahrzehntelang die Devise der größten Automesse der Welt, der IAA in Frankfurt. Das diesjährige Schaulaufen der mächtigen Autobauer markiert allerdings einen Einschnitt für jene Branche, in der es über Jahrzehnte nur nach oben ging. Der Gigantismus früherer Tage scheint passé, selbst Branchenführer wie Mercedes-Benz oder Volkswagen üben sich in Frankfurt in ungewohnter Bescheidenheit, reduzieren massiv Ausstellungsflächen und rücken glänzende Boliden zugunsten ganzheitlicher Mobilitätskonzepte in den Hintergrund. Andere Hersteller, darunter fast alle Marken aus Frankreich und Japan, blieben der IAA erstmals überhaupt fern. Während vor dem Messegelände rund 20.000 Menschen für eine rasche Verkehrswende demonstrierten, stellten die Aussteller in Frankfurt den Fokus mehrheitlich auf die Elektromobilität. Doch die Umweltexperten sind sich einig: Die Umstellung von Diesel- und Benzinfahrzeugen auf Elektroautos wird nicht ausreichen, um das globale Klima zu retten. Immerhin: Immer mehr Autohersteller entdecken das Thema Nachhaltigkeit für sich. Ob bei der Produktion, den Rohstoffen, im Rahmen der Energiegewinnung für die zukünftige Generation der elektrisch angetriebenen Autos oder beim Recycling - glaubt man den Sonntagsreden der wichtigsten Konzernlenker, könnten aus den Klimasündern von gestern schon bald ökologische Musterschüler werden.

CO2-neutrale Autoproduktion

Als eine seiner ersten Handlungen als neuer Vorstandsvorsitzender der Daimler AG stellte Ola Källenius im Mai dieses Jahres das Nachhaltigkeitsprogramm "Ambition 2039" vor. Die Kernpunkte der neuen Unternehmensstrategie jener Marke, die vor mehr als 130 Jahren das Automobil erfunden hat: Bis zum Jahr 2030 will man mehr als die Hälfte der Autos mit Elektroantrieb verkaufen. Neben der batterieelektrischen Mobilität wird parallel auch an alternativen Lösungen wie etwa der Brennstoffzelle oder E-Fuels geforscht. Darüber hinaus gilt die "Factory 56" als Modell für eine zukunftsweisende und umweltschonende Autoproduktion. Diese neue Fabrik im Mercedes-Werk Sindelfingen nutzt erneuerbare Energien und wurde von Beginn an CO2-neutral geplant. "Im nächsten Schritt werden alle unsere europäischen Werke bis 2022 folgen", lässt CEO Ola Källenius keinen Zweifel am Bekenntnis seines Unternehmens zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens. Einen weiteren wichtigen Punkt stellt die Umstellung von einer Wertschöpfungskette zu einem Wertschöpfungskreislauf dar: So liegt die potenzielle Recyclingquote von Mercedes-Fahrzeugen laut Unternehmensangaben schon jetzt bei 85 Prozent.

Selbstverpflichtung zur nachhaltigen Lieferkette

Doch nicht nur in Stuttgart, auch in Wolfsburg, dem Stammsitz von Europas größtem Autohersteller Volkswagen, spielen Themen wie Umweltfreundlichkeit, Ressourcenschonung und soziale Aspekte zunehmend eine zentrale Rolle. So gilt beispielsweise seit Juli 2019 bei VW ein weltweites Sustainability Rating, wie der Konzern mittels Presseaussendung mitteilte. Das Unternehmen prüfe damit das Nachhaltigkeitsverhalten der Geschäftspartner in seiner Lieferkette im Hinblick auf Risiken bei Menschenrechten, Umweltschutz und Korruption. "Wir sind davon überzeugt, dass ein nachhaltiges Lieferantennetzwerk ein Garant für langfristigen Unternehmenserfolg ist. Nachhaltigkeit wird zum entscheidenden Geschäftsfaktor", so Stefan Sommer, Volkswagens Vorstand für Komponenten und Beschaffung. Bei dem Sustainability Rating geben die Zulieferer auf Basis eines Fragebogens und mitgelieferter Dokumente zunächst eine Selbsteinschätzung zu ihrem Nachhaltigkeitsverhalten ab, wie Volkswagen erklärt. Die Angaben und Dokumente werden "von qualifizierten Dritten" überprüft, im Zweifel finden Kontrollen vor Ort statt. Kommt es zu Verfehlungen, führen diese zum Ausschluss von der Auftragsvergabe. Für bestmögliche Transparenz und Sicherheit in der Lieferkette setzt Volkswagen zudem auf die Blockchain-Technologie. In Zusammenarbeit mit dem auf Blockchain spezialisierten Unternehmen Minespider soll im Rahmen eines Pilotprojekts die globale Blei-Lieferkette transparent gemacht werden. Durch digitale Zertifikate ermöglicht die Blockchain-Technologie dabei die Rückverfolgung des Rohstoffs bis zum Ursprung. Bewährt sich der Ansatz, soll die Technik bei weiteren Rohstoffen und deren Lieferketten angewendet werden.
Im Rahmen der globalen Klimastrategie konzentriert sich Volkswagen vor allem auf die Reduzierung und die Vermeidung von CO2- Emissionen, beispielsweise durch Energieeffizienz und Umstellung auf erneuerbare Energien. "Wo das noch nicht gelingt, wollen wir in Waldschutzprojekte investieren, die lokalen Gemeinden langfristig unterstützen, die biologische Vielfalt schützen und gleichzeitig zur Bewältigung der Klimakrise beitragen", so der Leiter Nachhaltigkeit im Volkswagen-Konzern, Ralf Pfitzner. Mit einem ersten Projekt auf der indonesischen Insel Borneo kompensiert das Unternehmen die derzeit noch unvermeidbaren CO2-Emissionen aus der Lieferkette, die bei der Herstellung und Auslieferung des neuen Elektrofahrzeugs ID.3 anfallen.

Porsche: Emissionen um 75 Prozent gesenkt

Während beim Mutterkonzern Volkswagen die unterschiedlichen Prozesse aktuell auf ihre Nachhaltigkeit durchleuchtet und optimiert werden, gibt es bei den Tochtermarken bereits nennenswerte Erfolge zu verzeichnen. So ist es beispielsweise dem Sportwagenhersteller Porsche gelungen, den CO2-Ausstoß in seiner Produktion und Logistik seit dem Jahr 2014 pro Fahrzeug um mehr als 75 Prozent zu reduzieren. Den entsprechenden Energieverbrauch hat Porsche im selben Zeitraum um etwa 31 Prozent gesenkt. Die Reduktion der Emissionen liegt hauptsächlich an der Nutzung von TÜV-zertifiziertem Strom aus regenerativen Quellen. Demnächst rolle zudem mit dem Taycan der erste vollelektrische Sportwagen in der neu gebauten Fabrik in Zuffenhausen vom Band. An deren Fassade kommt erstmals eine Stickstoffoxid schluckende Oberflächentechnologie zum Einsatz. Dabei handelt es sich um mit Titandioxid beschichtete Aluminiumelemente. Die Beschichtung wirkt dabei als Katalysator und spaltet bei Sonneneinstrahlung und geringer Luftfeuchtigkeit die aufgenommenen Schadstoffpartikel in die unschädlichen Bestandteile Wasser und Nitrat. In einem ersten Pilotprojekt testete Porsche die NOx-absorbierende Fassade auf einer 126 Quadratmeter großen Fläche, was zirka zehn Parkplätzen entspricht. Die Technologie verrichtet dabei die Arbeit von zehn Bäumen.

Ökostrom, unbelastetes Kobalt, Naturkautschuk

Stichwort NOx: Im Vorfeld der IAA stellte VW - beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit - eine neue Form der Abgasnachbehandlung vor, welche erstmals im neuen Passat und in der Folge auch im neuen Golf 8 zum Einsatz kommen wird: das Twindosing. Dank zweier hintereinander angeordneter SRC-Katalysatoren mit doppelter AdBlue-Einspritzung reduziert sich der NOx-Ausstoß gegenüber den jeweiligen Vorgängermodellen um 80 Prozent. Auch einige Hundert Kilometer südlich ist man in Sachen Nachhaltigkeit durchaus kreativ. BMW, in Bezug auf Elektromobilität einer der Vorreiter, investiert mittlerweile auch gezielt in eine nachhaltige und stabile Stromversorgung. Allen voran tragen die Energiezentralen der Werke in Dingolfing und Landshut zur Stabilität des öffentlichen Stromnetzes bei. Durch den Einsatz der sogenannten Regelenergie sollen die Schwankungen, die bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien entstehen, ausgeglichen werden. Teil des BMW-Powertools ist auch die bereits im Oktober 2017 in Betrieb genommene BMW-Speicherfarm mit bis zu 700 BMW-i3-Batteriespeichern auf dem Werksgelände in Leipzig.
Parallel dazu engagiert sich BMW dafür, die Lieferkette für Naturkautschuk nachhaltiger zu gestalten. Der aus der Pflanzenmilch der Kautschukbäume gewonnene Rohstoff wird meist in Monokulturen in Südostasien gewonnen. Der derzeitige Bedarf für die Bereifung der Fahrzeuge allein bei der BMW Group liegt bei rund 24.000 Tonnen. Auch im Kongo sind die Bayern aktiv: Das Ziel eines Pilotprojekts gemeinsam mit BASF und Samsung ist die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Menschen in einer ausgewählten Kobaltmine in der Demokratischen Republik Kongo. Kobalt ist eine Schlüsselkomponente bei der Herstellung von Batterien für elektronische Geräte und Elektrofahrzeuge.

Biomethan aus Abfällen

Der spanische Hersteller Seat beteiligt sich an dem kürzlich von der Europäischen Kommission genehmigten Projekt "Life Landfill Biofuel": Ziel des Projekts ist es, Kraftstoff aus kommunalen Abfalldeponien zu gewinnen. Dazu sollen Methoden entwickelt werden, um das Biomethan effizienter aus diesen zahlreich vorhandenen Quellen zu gewinnen. Das Projekt geht dabei einen Schritt weiter als ähnliche Vorhaben und bezieht den Rohstoff Biomethan direkt aus der Deponie, ohne vorherige Abfalltrennung. Mit dem spanischen Wasserversorger Aqualia betreibt Seat zudem ein Projekt zur Umwandlung von Abwasser in Biokraftstoff.

Renaults elektrische Atlantikinsel

Wiederum einen anderen Ansatz verfolgt der französische Hersteller Renault auf der "smarten" Insel Porto Santo im Atlantik: Im Rahmen des Programms "Smart Fossil Free Island" soll die Energiewende auf der 42 Quadratkilometer großen Insel mit rund 5500 Einwohnern in mehreren Etappen umgesetzt werden. Die portugiesische Insel bietet beste Voraussetzungen, um das Zusammenspiel von erneuerbarer Energie und rein elektrischer Mobilität in der Praxis zu erproben. Das Projekt besteht aus vier wesentlichen Bausteinen: Elektroautos, intelligenten Ladelösungen für mehr Effizienz, bidirektionalem Laden für die Unterstützung des Stromnetzes durch Elektrofahrzeuge bei hoher Auslastung sowie der Weiterverwendung von Elektroauto-Akkus nach Ende ihrer Laufzeit.

Tesla verzichtet auf Leder

Natürlich wird auch außerhalb Europas auf das Thema Nachhaltigkeit geachtet: Wie praktisch alle weltweit tätigen Automarken hat sich auch Toyota den Zielen des Klimaabkommens von Paris verpflichtet. Dabei streben die Japaner nicht nur die Verringerung der CO2-Emissionen im Fahrbetrieb ihrer Autos an: Über den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs hinweg sollen die Emissionen bis 2050 auf null reduziert werden. Bis zum Jahr 2030 will das Unternehmen eine Reduktion um mindestens 25 Prozent gegenüber dem Stand von 2013 erreichen. Dazu wird eng mit Zulieferern und Händlern, aber auch mit Forschungsinstituten, Behörden, Energielieferanten, Investoren und Infrastrukturunternehmen zusammengearbeitet. Geplant sind unter anderem die Verringerung des Materialverbrauchs und der Anzahl der Komponenten, die Entwicklung CO2-ärmerer Materialien und der vermehrte Einsatz von recycelten Materialien.
Stichwort Materialmix: Bei Teslas neuem Mittelklassewagen Mo-del 3 kommt das Interieur komplett ohne Leder aus. Stattdessen wird im Innenraum ab Werk synthetisches Material verwendet. Käufer der Premium-Baureihen Model X und Model S können den Innenraum auf Wunsch bereits komplett vegan bestellen.

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