Man schrieb den Jänner 1886, als ein gewisser Carl Benz sein "Fahrzeug mit Gasmotorantrieb" zum Patent anmeldete. Die Patentschrift DRP 37435 gilt seither quasi als Geburtsurkunde des Automobils. Schlappe 135 Jahre sind seither vergangen. Und lange Zeit sah es so aus, als hätten ausgerechnet die stolzen Erfinder des Autos den Aufbruch in die Elektromobilität verschlafen. Doch allmählich gerät die Führungsposition von Elektropionier Tesla in Gefahr. Die zuletzt oftmals als "PS-Dinosaurier" verspottete deutsche Autoindustrie ist scheinbar rechtzeitig aufgewacht und hat eine gewaltige Aufholjagd gestartet. Der jüngste Beweis dafür, dass die viel gelobte deutsche Ingenieurskunst auch im Bereich der Elektromobilität einen Unterschied machen kann, ist der Mercedes-Benz EQS.
Der Mercedes-Benz EQS setzt neue Maßstäbe
Ganz in der Tradition der S-Klasse, die seit vielen Jahrzehnten als Vorreiter in Sachen Fahrkomfort, Sicherheit und Luxus gilt, setzt die erste vollelektrische Luxuslimousine von Mercedes-Benz neue Maßstäbe im Segment der batterieelektrischen Fahrzeuge. Möglich macht dies die modulare Architektur für Elektrofahrzeuge der Luxus- und Oberklasse, auf der der EQS als erstes Modell basiert. Mit dem EQE - dem elektrischen Pendant der konventionellen E-Klasse - sowie den SUV-Varianten von EQE und EQS stehen die nächsten Neuvorstellungen bereits unmittelbar bevor.
Angesichts der Fülle an Innovationen wird die Aufzählung der wichtigsten Daten und Fakten des EQS zur Mammutaufgabe. Am augenscheinlichsten ist da noch in diesem Fahrzeugsegment ungewohnte Formgebung: Die relativ hohe und steil ansteigende Motorhaube sowie die elegant nach hinten abfallende, große Heckklappe sind das Ergebnis von mehr als 1000 Rechenläufen im virtuellen Windkanal. Kaum zu glauben, aber wahr: Bei einer Stirnfläche von gerade einmal 2,51 Quadratmetern beträgt der cw-Wert des EQS sagenhafte 0,20. Damit ist das neue Elektro-Flaggschiff der Stuttgarter das aerodynamischste Serienauto der Welt.
Akkus beim EQS an der Grenze des Machbaren
Auch beim Herz eines jeden Elektroautos - den Lithium-Ionen-Akkus - ging man beim EQS nahe an die Grenze des Machbaren. Neben der schieren Größe des 107,8 kWh fassenden Energiespeichers beeindrucken vor allem die augenscheinlichen Fortschritte bei der Zellchemie. So konnte der Kobalt-Anteil der Kathode auf zehn Prozent gedrückt werden. Mindestens ebenso wichtig wie die Hardware ist die dazugehörige Batterie-Management-Software. Diese wurde inhouse bei Mercedes entwickelt und ermöglicht erstmals Updates over the air (OTA). Dieses Feature ermöglicht es dem Hersteller, das für Reichweite, Ladegeschwindigkeiten und Lebensdauer entscheidende Energiemanagement über den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs stets auf dem modernsten Stand zu halten.
Ladeleistung: nach 15 Minuten hat der EQS wieder Speicher für 300 km
Eine Ansage sind auch die Ladeleistungen, zu denen der EQS fähig ist. So kann der Luxus-Stromer an Gleichstrom-Schnellladestationen mit bis zu 200 kW geladen werden. Bereits nach 15 Minuten am Stecker ist damit wieder genug Energie für weitere 300 Kilometer im Akku gespeichert. Diese Zahlen überraschen umso mehr, weil Mercedes bewusst auf die Entwicklung eines 800-Volt-Bordsystems verzichtet hat, wie es etwa bei Porsche, Audi und Hyundai zum Einsatz kommt. Der Vorteil dabei: Während man bei der Konkurrenz die maximale Ladeleistung im Auge hatte, fokussierten sich die Energie-Ingenieure aus Stuttgart auf eine möglichst alltagstaugliche Ladekurve. Beim EQS fällt diese nach möglichst schnellem Erreichen der Peak-Ladeleistung weniger steil ab, sondern bildet während der entscheidenden Minuten am Anfang des Ladevorgangs ein Plateau auf hohem Niveau.
Für Ladevorgänge abseits der Autobahnen mit ihren teuren Schnellladestationen wichtig: Mithilfe des Onboard-Laders beträgt die maximale Ladeleistung bei Wechselstrom (also an der Wallbox zu Hause) bis zu 22 Kilowatt. In Japan wird mit dem EQS sogar bidirektionales Laden möglich sein, also Laden in beide Richtungen. Eine Führungsposition strebt Mercedes auch mit dem markeneigenen Ladeservice "Mercedes me Charge" an. Bei über 200.000 Ladepunkten in ganz Europa soll das Nachladen mit EQ-Modellen aus Stuttgart ohne lästige Abrechnungsformalitäten wie Ladekarten oder Smartphone-Apps möglich sein. Über das Feature "Electric Intelligence" ist das möglichst sorgenfreie Nachladen zudem fixer Bestandteil des bordeigenen Navigationssystems. Aus Basis unzähliger Faktoren errechnet das System auf Wunsch die schnellste und komfortabelste Route inklusive Ladestopps und reagiert dynamisch beispielsweise auf Staus oder eine Änderung der Fahrweise.
Ein Kunstwerk für sich ist auch die intelligente Rekuperation
Der sogenannte Eco-Assistent agiert auf Wunsch vorausschauend und situationsoptimiert unter Berücksichtigung von Verkehrslage oder Topografie. Auch vorausfahrende Fahrzeuge werden in die Rechnung mit einbezogen, die Rekuperationsleistung beträgt bis zu 290 Kilowatt.
Sogar am vermeintlich banalsten Bauteil eines modernen Elektroautos - dem Elektromotor - ließen die Mercedes-Ingenieure auf der Suche nach maximaler Effizienz und Performance buchstäblich kein Teil unangetastet. Besonders beeindruckend ist die Art und Weise, wie es gelang, sowohl den Stator, als auch den bis zu 18.000 Mal in der Minute drehenden Rotor mit einer Flüssigkeitskühlung zu versehen. Die dort eingesetzte Kühlflüssigkeit wird andernorts zur optimalen Temperierung des Getriebeöls eingesetzt.
Am Ende des Tages führt die Summe all dieser Anstrengungen zu einer beeindruckenden Reichweite von sage und schreibe 780 Kilometern gemäß WLTP-Norm. Bei den zweitägigen Testfahrten rund um Zürich mit dem 2,5 Tonnen schweren EQS 580 4MATIC mit Allradantrieb und -lenkung gab das Bordsystem sogar einen Durchschnittsverbrauch von 13,6 kWh, der den offiziellen WLTP-Wert von 18,3 kWh nochmals deutlich unterbot.
Was blieb neben der serienmäßigen Hinterachslenkung, dem 1,4 Meter breiten Bildschirm-Armaturenbrett und dem von 1,3 Millionen (!) Mikrospiegeln gebrochenen Licht der dreiteiligen LED-Scheinwerfer des Topmodells mit 524 PS noch in Erinnerung? Vielleicht die selbstschließenden Komforttüren? Oder das an ein Computerspiel erinnernde, hervorragend funktionierende Augmented-Reality-Head-up-Display? Fakt ist: Mit dem EQS hat Mercedes-Benz nicht nur im Segment der Elektroautos, sondern auch ganz generell für alle Luxusfahrzeuge neue Maßstäbe gesetzt. Und es geht sogar noch weiter: Ab kommendem Frühjahr wird der EQS optional das weltweit erste, nach Level 3 autonom fahrende Fahrzeug der Welt. Wie eine aufwendig inszenierte Demonstrationsfahrt im Mercedes-Testzentrum in Immendingen zeigte, meistert die Mercedes-Software so gut wie jede nur denkbare Fahrsituation. Einziger Makel: Erlaubt bleibt das sorgenfreie Zurücklehnen und Hände-in-den-Schoß-Legen im EQS bis auf Weiteres nur in Deutschland - und auch hier ausschließlich auf Autobahnen und im Tempobereich bis maximal 60 km/h.