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Öffentlicher Verkehr - Wohin geht die digitale Reise?

Fünf große Städte gehen bei der Revolution des öffentlichen Verkehrs voraus. Sie werden von mehreren Faktoren angetrieben.

Autonome Fahrzeuge für den öffentlichen Verkehr werden in Zukunft erwartet.
Autonome Fahrzeuge für den öffentlichen Verkehr werden in Zukunft erwartet.

Die ganz großen Verheißungen der ganz großen Unternehmen in Silicon Valley gehen offenbar nicht in Erfüllung. Dass bereits um 2024 autonome Fahrzeuge eine entscheidende Wende im städtischen Verkehr bringen würden. "Mittlerweile gibt es ein viel differenzierteres Bild dieser Technologie", sagt Ian Banerjee. Der Wissenschafter am Forschungsbereich Future Lab der Technischen Universität Wien hat fünf Vorreiterregionen untersucht: San Francisco, London, Tokio, Singapur und Göteborg.

Eines der wichtigsten Ergebnisse ist, dass Fahrer-Assistenzsysteme schon bald sehr hoch entwickelt sein werden. Aber wie die entsprechenden Fahrzeuge in die konkrete Verkehrsinfrastruktur der jeweiligen Metropolen eingebunden sein werden, ist derzeit weithin offen. "Ein zweites zentrales Ergebnis ist, dass man heute kaum mehr über Level 5 spricht, also das völlig autonome fahrerlose Fahrzeug", betont der Experte im SN-Gespräch. "Wir haben daher in unserer Studie einen neuen Begriff eingeführt: das lange Level 4. Das heißt, dass der Fahrer bis auf Weiteres im Auto bleibt, aber die Assistenzsysteme ihm sehr vieles abnehmen werden." Diese Phase wird nach Ansicht von Banerjee "sehr lange anhalten, vielleicht 10, 20, 30 Jahre - oder überhaupt auf Dauer". So habe man z. B. in Japan von Anfang an gar nicht von Level 5 gesprochen.

Damit erhebt sich freilich die Frage, ob nicht ein wesentlicher Vorteil, den man sich durch autonome Fahrzeuge für den öffentlichen Verkehr erhofft hat, vorerst unerfüllt bleibt: die Kosten, die man sich durch den Verzicht auf den Fahrer sparen könnte. Dazu meint der TU-Wissenschafter, "dass die Entwicklung in einzelnen Stadtregionen tatsächlich schneller vorangehen könnte, und zwar dort, wo die Straßen einfacher zu adaptieren sind."

Banerjee und sein Team haben daher in ihrer Studie einen "drive ability index" eingeführt. Dieser zeigt an, wie schwer oder wie leicht eine städtische Region für den autonomen Verkehr adaptiert werden könnte. Die größten Chancen sieht der Wissenschafter dafür im Bau von neuen Stadtvierteln. "In Singapur werden drei neue große Stadtteile - de facto sind es ganze neue Städte - gebaut, in denen die neue Infrastruktur mit autonomen Fahrzeugen von vornherein berücksichtigt werden kann", erläutert Banerjee. "Wahrscheinlich wird Singapur daher die erste Stadt sein, die großräumig Busse einführen könnte, die auf eigenen Trassen selbstfahrend verkehren." Das sei für Singapur ein vorrangiges Ziel, weil es viel zu wenig Personal für die Busse gebe.

"In Summe", sagt der TU-Experte, "wird das selbstfahrende Auto in traditionell gewachsenen Städten wie Wien noch lange nicht kommen. Der selbstfahrende Bus auf eigenen Trassen in Neubaustädten wie in Singapur oder auch in Dubai kann bald kommen."

Dafür gibt es neben der technologischen Entwicklung in den untersuchten Großstädten auch treibende soziologische und gesellschaftliche Faktoren. In San Francisco etwa ist es enorm wichtig, Parkraum wegzubekommen und Wohnraum zu schaffen. Dazu kommt ein überraschendes, aber offenbar wichtiges Argument: Die US-amerikanische Stadt sieht in einem besseren öffentlichen Verkehr ein Mittel, um die Obdachlosigkeit zu verringern.

"San Francisco ist einerseits die Stadt von Silicon Valley, also die Stadt jener großen globalen Player, die das autonome Fahren rein aus ihrem wirtschaftlichen Antrieb heraus vorantreiben", sagt Banerjee. "Andererseits gibt es in San Francisco eine sehr aktive, selbstbewusste Stadtverwaltung, die darauf achtet, dass die Interessen der Bewohner, vor allem auch der sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen, berücksichtigt werden. Dafür hat die Stadtverwaltung eine starke Power aufgebaut und institutionalisiert." Sie mache das, "weil es eine unvorstellbar große Obdachlosigkeit gibt. Menschen liegen zu jeder Tageszeit auf der Straße." Die Stadt müsse auf diesen sozialen Druck reagieren. Ohne digitale Technologie sei das nicht zu bewältigen. Digitale Plattformen brächten Angebot und Nachfrage zusammen. Ein erster Ansatz sind Minibusse, die Obdachlose kostenlos transportieren.

Banerjee sieht San Francisco als Beispiel dafür, dass die neuen Infrastrukturen im öffentlichen Verkehr gleichzeitig "von oben" und "von unten" eingeführt werden müssten. "Digitalisierung ist ein von der Technologie getriebenes Projekt einiger globaler Player. Darauf müssen die Städte reagieren. Sie müssen Allianzen und Netzwerke bilden und sie brauchen dafür die Zivilgesellschaft, sozusagen die kleinen Player vor Ort."

Derzeit sind in Großstädten drei Strategien feststellbar: Die meisten sind zu den digitalen Technologien noch auf Distanz, eine zweite Gruppe wartet aktiv ab und beobachtet die anderen, die Dritten sind die Proaktiven, die zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Entwicklung ihre Bedürfnisse einbringen und damit die besten Möglichkeiten haben, die Technologien der großen Player an die konkreten Bedürfnisse der Gesellschaft anzupassen.

Die Treiber für digitalisierte Verkehrslösungen

London
Die aktuellen Herausforderungen in London sind die schnell wachsende Bevölkerung, eine sich verschärfende soziale Ungleichheit und die Notwendigkeit, das rasche städtische Wachstum durch Dezentralisierung zu lenken. Die Entwicklungsnarrative zur Zukunft der Mobilität konzentrieren sich auf ökonomische Wettbewerbsvorteile, auf Gesundheit und Wohlbefinden, auf soziale Inklusion, auf "gutes" Wachstum und auf die Vorstellungen einer polyzentrischen Stadt.

Göteborg
Die weitläufige Stadt Göteborg möchte eine "compact city" werden. Es geht um Stadtverdichtung und damit um eine Stadt der kurzen Wege, die von vornherein weniger Verkehr verursachen soll. Dafür könnten kleine selbstfahrende Shuttlebusse eingeführt werden. Drive Sweden fördert kooperative Forschungs- und Entwicklungsprojekte wie den Einsatz von selbstfahrenden Shuttlebussen, die für eine kompakte Stadt geeignet sind. Ein großer Schritt für die Stadt Göteborg und ihren Automobil- und Kommunikationssektor war der Bau von Asta Zero, dem internationalen Testgelände für automatisierte Fahrzeuge.

Tokio
Die japanische Hauptstadt ist durch eine dramatisch schrumpfende und alternde Bevölkerung, einen akuten Arbeitskräftemangel und ein stagnierendes Wirtschaftswachstum herausgefordert. Mit "Mobility bringing everyone a smile" möchte die Stadtregierung vor allem die Inklusion von Senioren erreichen. Die Roadmap "Society 5.0" greift die öffentliche Diskussion zur Zukunft der Gesellschaft im Zeitalter der Digitalisierung, der Roboter und der künstlichen Intelligenz auf.

Die detaillierte Roadmap für die Einführung automatisierter und vernetzter Fahrzeuge enthält einen Zeitplan für die Umsetzung und Markteinführung. Diese Perspektive reicht bis zum Jahr 2030. Eine wesentliche Grundlage dafür ist die schrittweise Erstellung einer dynamischen, landesweiten digitalen Karte der verfügbaren Straßenräume.

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