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Schutzengel für Radfahrer

Radfahrende sind im Straßenverkehr Risikogruppe Nummer eins. Ein Forschungsprojekt der Salzburg Research will dabei helfen, Unfälle zu vermeiden.

Praxistests der Salzburg Research an einer „Risiko-Kreuzung“ in Salzburg-Schallmoos.
Praxistests der Salzburg Research an einer „Risiko-Kreuzung“ in Salzburg-Schallmoos.

Die Fakten sind eindeutig: Etwa die Hälfte der im Straßenverkehr getöteten Personen sind nicht mit dem Auto, sondern zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs. Gleichzeitig steigen immer mehr Menschen auf das Fahrrad um. Der Handlungsbedarf ist demnach enorm. Um das Ziel der Europäischen Kommission zu erreichen, die Zahl der getöteten bzw. schwer verletzten Menschen im Straßenverkehr zu halbieren, muss dringend gehandelt werden.

Salzburg Research forscht an einem Warnsystem für Radfahrer

Ein spannender Lösungsansatz dafür kommt aus Salzburg: Ein heimisches Konsortium unter der Leitung der Salzburg Research Forschungsgesellschaft untersucht seit September 2020 Möglichkeiten, wie moderne Technologien dabei helfen können, besonders gefährliche Kollisionen zwischen Radfahrenden und Fahrzeugen zu vermeiden. Nach einer Laufzeit von 32 Monaten kommt das Projekt im kommenden April nun zu einem vorläufigen Ende.

"Die Grundidee bestand darin, potenzielle Kollisionsrisiken aus Sicht der Radfahrenden zu erkennen und diese rechtzeitig zu warnen", erklärt Cornelia Zankl, verantwortliche Projektleiterin bei Salzburg Research. Während der Radverkehr bei Themen wie dem autonomen Fahren oder dem vernetzten Verkehr bis dato ausgeklammert war, ist beim konkreten Forschungsprojekt das Gegenteil der Fall. Fahrräder sollen hier aktiv in die Interaktion - und in weiterer Folge auch Kommunikation - mit motorisierten Fahrzeugen und der smarten Verkehrsinfrastruktur einbezogen werden.

Erkennung und Interpretation von Verkehrssituationen ohne Zeitverzögerung

Im Rahmen des Forschungsprojekts wurden zwei konkrete Testszenarien untersucht. Als Locations wurden die Kreuzung von Gabelsbergerstraße und Weiserstraße im Salzburger Stadtteil Schallmoos sowie die Abbiegung in Richtung des Ortszentrums von Koppl an der Wolfgangseestraße B158 ausgewählt. Zum Einsatz kam dabei hochkomplexe Technik, wie man sie ansonsten nur von teilweise autonom fahrenden Versuchsfahrzeugen kennt. Während das beteiligte SUV mit gleich mehreren Arten hochauflösender Kameras und Lidar-Sensoren zur Erfassung der unmittelbaren Umgebung ausgestattet wurde, bestand die Herausforderung beim beteiligten Fahrrad vor allem darin, dessen Position zentimetergenau zu ermitteln. Da herkömmliche GPS-Sensoren für diesen Zweck viel zu ungenau wären, griff das Team von Salzburg Research auf sogenanntes Map-Matching mithilfe digitaler Karten zurück. "Das Grundprinzip besteht darin, dass das System in Echtzeit vorausberechnet, ob sich die Fahrspuren von Auto und Fahrrad einander annähern", so Zankl. "Um das Risiko einer unmittelbar bevorstehenden Kollision realistisch einschätzen zu können, müssen die Positionen von Auto und Fahrrad sehr exakt berechnet werden." Als dritte Komponente spielt die technologisch hochgerüstete Verkehrsinfrastruktur eine bedeutende Rolle. Zu diesem Zweck wurden an den beiden Versuchskreuzungen in Salzburg und Koppl hochauflösende Kameras montiert. Die Kommunikation zwischen Kreuzung, Fahrrad und Auto lief drahtlos über einen speziellen verzögerungsfreien WLAN-Standard.

Neben der fehlerfreien Erkennung und Interpretation der verschiedenen Verkehrssituationen bestand die Herausforderung vor allem darin, Latenzzeiten in der Kommunikation der unterschiedlichen Systeme zu minimieren. "Der Sinn besteht ja gerade darin, den Radfahrenden rechtzeitig mittels akustischen oder optischen Signals vor dem sich nähernden Fahrzeug zu warnen", so Cornelia Zankl. Als weitere Hürde stellte sich die eine exakte Positionsermittlung im städtischen Umfeld heraus. "Wir haben zwar in Salzburg keine Hochhäuser, die die exakte Positionserfassung blockieren könnten. Aber gerade bei der Testkreuzung in der Gabelsbergerstraße fuhren Auto und Fahrrad vorher teilweise durch das Nelböck-Viadukt. Bis die Positionen danach wieder exakt erfasst werden können, dauert es ganz einfach", berichtet die Projektverantwortliche.

Im Gegensatz dazu war die notwendige Positionsgenauigkeit im Bereich der zweiten Testkreuzung im Gemeindegebiet von Koppl weitaus leichter zu erreichen. Auch die geringere Verkehrsdichte kam den Forschenden entgegen, während sich die höheren Geschwindigkeiten auf der Landesstraße wiederum negativ auf die Erfolgsquote des Systems auswirkten.

Cornelia Zankl, Projektleiterin Salzburg Research: „Ein Warnsystem für Radfahrende ist technisch grundsätzlich machbar.“
Cornelia Zankl, Projektleiterin Salzburg Research: „Ein Warnsystem für Radfahrende ist technisch grundsätzlich machbar.“

Trotz der Unmenge an technischen und logistischen Herausforderungen fällt das Fazit der Forschenden durchwegs positiv aus. "Wir wissen nun, dass ein derartiges Warnsystem für Radfahrende technisch grundsätzlich machbar ist", stellt Cornelia Zankl fest. "Potenzielle lebensgefährliche Kollisionen wurden von dem System vorzeitig erkannt, wodurch der Radfahrende rechtzeitig gewarnt werden konnte." Auch die Experten des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KfV), einem der Projektpartner, stellten der Versuchsanordnung ein gutes Zeugnis aus.

Umsetzung des hochkomplexen Sicherheitssystems für Radfahrer derzeit nicht realistisch

Klar ist aber auch, dass die Realisierung eines solchen Warnsystems extrem komplex, teuer und damit in der Praxis nur schwer umsetzbar sein dürfte. "Einerseits müsste man mit den betreffenden Autoherstellern kooperieren, um die dafür erforderlichen technologischen Standards zu implementieren", so Cornelia Zankl. "Dazu kommen die aufwendigen Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur vor Ort sowie natürlich die Umsetzung für die Radfahrenden."

Aus jetziger Sicht scheinen derartige Hochsicherheitssysteme für Radfahrer mittelfristig kaum realistisch. Andererseits geben die Erkenntnisse von Salzburg Research Grund zur Hoffnung: Schon Teilaspekte des Projekts haben das Potenzial, unzählige Menschenleben zu retten. Etwa indem Radfahrende mittels Geofencing und GPS-Sensoren am Fahrrad vor besonders gefährlichen Kreuzungen gewarnt werden.