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Solar-Elektroautos: Die Sonnenanbeter

2023 soll das lang erwartete Solar-Elektroauto Sion endlich in Serie gehen. Nach turbulenten Jahren stellt sich Sono Motors aus München nun breiter auf.

Mit einem Solarzellen-Nachrüstkit für Lkw, Busse und kleinere Nutzfahrzeuge möchte das Unternehmen dabei helfen, Kohlendioxid einzusparen.
Mit einem Solarzellen-Nachrüstkit für Lkw, Busse und kleinere Nutzfahrzeuge möchte das Unternehmen dabei helfen, Kohlendioxid einzusparen.
Keine Schattenparker: Die Gründer von Sono Motors, Laurin Hahn und Jona Christians, mit dem neuen Sion.
Keine Schattenparker: Die Gründer von Sono Motors, Laurin Hahn und Jona Christians, mit dem neuen Sion.
Mit einem Solarzellen-Nachrüstkit für Lkw, Busse und kleinere Nutzfahrzeuge möchte das Unternehmen dabei helfen, Kohlendioxid einzusparen.
Mit einem Solarzellen-Nachrüstkit für Lkw, Busse und kleinere Nutzfahrzeuge möchte das Unternehmen dabei helfen, Kohlendioxid einzusparen.

Es war eine Art deutsches Gründermärchen, als sich die drei jungen Kommilitonen Laurin Hahn, Navina Pernsteiner und Jona Christians vor mittlerweile sechs Jahren daranmachten, die stolze deutsche Autoindustrie auf den Kopf zu stellen. Tatsächlich war das Geschäftsmodell des im Jahr 2016 im Norden Münchens gegründeten Start-ups Sono Motors von Anfang an darauf angelegt, die seit Jahrzehnten von den gleichen Weltmarken dominierte Industrie aus den Angeln zu heben.

Sono Motors entwarf das erste Solar-Elektroauto der Welt

Die Idee des innovativen Gründertrios schien gleichermaßen genial wie unkonventionell: Zu einer Zeit, als der Dieselskandal in Deutschland in aller Munde war und man öffentliche Ladestationen noch mit der Lupe suchen musste, entwarf man bei Sono Motors den Sion, das erste Solar-Elektroauto der Welt. Aus den Erlösen einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne entstand der Prototyp eines fünftürigen Familienautos mit Platz für bis zu fünf Personen und 650 Litern Kofferraum. Der eigentliche Clou der Konstruktion waren allerdings die leistungsstarken Solarzellen auf Dach, Türen und Motorhaube: Abhängig von Jahreszeit und Sonneneinstrahlung sollte so die Reichweite des Stromers um bis zu 30 Kilometer täglich erhöht werden. Wie weit man bei Sono Motors der Zeit schon damals voraus war, zeigt die Tatsache, dass man sich damals schon mit dem bidirektionalen Laden oder dem Onlinevertrieb auseinandersetzte. Themen, die in der Automobilbranche heute als zukunftsweisend gefeiert werden. Denkverbote schien es bei den jungen Münchnern generell nicht zu geben: Ein speziell für diesen Zweck gezüchtetes Moos sollte im Cockpit des Sion die Aufgabe einer klassischen Klimaanlage übernehmen. Und anstatt langfristig so viele Fahrzeuge wie möglich zu verkaufen, plante man vielmehr Sharingdienste, um das eigene Auto für definierte Zeitspannen zu vermieten oder den damit produzierten Strom zu verkaufen.

Die Serienfertigung drohte zum Stolperstein zu werden

Nach anfänglicher Euphorie schien das Unternehmen jedoch Gefahr zu laufen, an den eigenen hohen Ansprüchen zu scheitern: Der große Sprung vom selbstgebastelten Prototyp hin zur industriellen Serienfertigung drohte zur unüberwindbaren Hürde zu werden. Trotz Tausender Vorbestellungen musste der ursprünglich für das Jahr 2019 geplante Serienstart des Sion mehrfach verschoben werden. Ein dramatischer Hilferuf an die Community rettete Sono Motors zwischenzeitlich vor dem sicher scheinenden Aus. Die bis dahin größte Community-Funding-Kampagne mit Zahlungszusagen von über 50 Millionen Euro brachte Ende 2019 schließlich die Wende. Im Anschluss daran fand man 2020 namhafte institutionelle Investoren, die weitere 45 Millionen Euro in Sono Motors investierten. Ende 2021 gelang dann der Sprung an die US-Technologiebörse NASDAQ, der Firmenwert verdoppelte sich auf zwischenzeitlich über zwei Milliarden US-Dollar. Doch auch inhaltlich hat sich seit der Wandlung von der Garagenfirma zum börsenotierten Tech-Einhorn viel getan, wie das erste große Community-Event Anfang dieser Woche ergab: Die mittlerweile vom Trio zum Duo geschrumpfte Firmenspitze stellte dabei die vorläufige Serienversion des Sion vor, dessen Fertigungsstart nun mit Mitte 2023 datiert wird.

Neben kleineren optischen Retuschen stellen die im Vergleich zum ersten Prototyp massiv weiterentwickelten Solarzellen den größten Evolutionsschritt dar. Insgesamt 456 nahtlos integrierte Solar-Halbzellen bilden nun die Außenhaut des Sion. Zur erwarteten Reichweite der kobaltfreien Lithium-Eisenphosphat-Akkus von rund 305 Kilometern sollen so pro Woche im Schnitt 112 Kilometer durch die Sonne hinzugewonnen werden. Aufs Jahr hochgerechnet sollen sogar 5800 reine Sonnen-Kilometer möglich sein, wodurch der Sion im Vergleich zu herkömmlichen E-Autos bis zu vier Mal weniger aufgeladen werden könnte. Die Ladekapazität des 54-kWh-Akkus soll laut Sono-Motors-Gründer Laurin Hahn 11 kW (Wechselstrom) bzw. bis zu 75 kW bei Gleichstrom betragen. Auch die bidirektionale Ladetechnologie wurde verfeinert: Auf Wunsch verwandelt sich der Sion in eine Art mobiles Mini-Solarkraftwerk auf Rädern, das elektronische Geräte, das eigene Haus oder auch andere Elektroautos mit einer Leistung von bis zu 11 kW versorgen kann.

Valmet Automotive aus Finnland soll den Sion produzieren

Bleibt abzuwarten, ob die Produktion des Sion bei dem finnischen Auftragsfertiger Valmet Automotive tatsächlich in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 aufgenommen werden kann. Der langfristige Plan sieht vor, innerhalb der nächsten sieben Jahre rund 250.000 Fahrzeuge auf die Räder zu stellen - und zwar gänzlich ohne eigene Produktionsanlagen. Mit Stand 1. Juli dieses Jahres kann das Unternehmen immerhin auf mehr als 19.000 private Reservierungen für das Solar-E-Auto verweisen. Bei einer durchschnittlichen Anzahlung von 2225 Euro würde das einem Netto-Verkaufsvolumen von 417 Millionen Euro entsprechen.

Neben dem Kampfpreis von gerade einmal 25.126 Euro für die Basis-Variante sowie den laut Hersteller konkurrenzlos günstigen Total Costs of Ownership spricht vor allem die Expertise im Bereich der Solarzellen für einen langfristigen Erfolg von Sono Motors. Anstatt sich weiterhin auf den Sion als einziges Produkt zu verlassen, verkündete man im Rahmen der Weltpremiere diese Woche zudem den Start eines zweiten Standbeins: des Solar Bus Kit, einer Art B2B-Nachrüstlösung für nachhaltige Mobilität im gewerblichen Verkehr. Entwickelt für die gängigsten Zwölf-Meter-Bustypen auf dem europäischen Markt, soll die Nachrüstlösung Flottenbetreibern dabei helfen, den Dieselverbrauch und damit die CO2-Emissionen zu senken. Ziel ist nicht etwa, die Verbrennungsmotoren konventionell angetriebener Nutzfahrzeuge gegen E-Motoren und Akkus zu tauschen. Vielmehr sollen nachträglich montierte Solarmodule mit einer Gesamtgröße von etwa acht Quadratmetern dabei helfen, bis zu 1500 Liter Diesel und bis zu vier Tonnen CO2 pro Bus und Jahr einzusparen, indem besonders energieintensive Bordsysteme wie etwa die Klimaanlage teilweise mit erneuerbarer Energie betrieben werden. Geht es nach Sono-Motors-Mitgründer Jona Christians, so kann sich die Umrüstung abhängig von Betriebszeiten und Kraftstoffpreisen nach drei bis vier Jahren rechnen. "Das Solar Bus Kit ermöglicht es uns, unser Solargeschäft zu intensivieren, indem wir die Skalierbarkeit unserer Technologie für einen riesigen Markt optimieren", so Christians. Eigenen Angaben zufolge arbeitet Sono Motors bereits mit 19 Unternehmen zusammen, darunter MAN Truck & Bus oder Chereau, Spezialist für Kühlfahrzeuge. In Kürze soll der erste umgerüstete Linienbus in München seinen Betrieb aufnehmen. Ob die neue Diversifizierungsstrategie von Erfolg gekrönt ist, wird allerdings maßgeblich davon abhängen, ob es Sono Motors gelingt, die dafür notwendigen Solarzellen in den notwendigen Mengen produzieren zu lassen.