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Umweltsünder Autoreifen

Reifenabrieb verursacht jährlich Tausende Tonnen Mikroplastik. Umweltfreundliche Alternativen stehen auf absehbare Zeit nicht zur Verfügung.

Während die Motoren sauberer werden, werden Autoreifen zu einem immer größeren Problem für Umwelt und Gesundheit.
Während die Motoren sauberer werden, werden Autoreifen zu einem immer größeren Problem für Umwelt und Gesundheit.

Mikroplastik ist überall: Im Regenwald des Amazonas, im ewigen Eis der Antarktis, am Gipfel des Mount Everest - ja sogar am Grund des Marianengrabens, 11.000 Meter unterhalb des Meeresspiegels, haben Forscher bereits mikroskopisch kleine Kunststoffpartikel gefunden. Und es wird noch schlimmer: Wie die MedUni Wien kürzlich berichtete, ist das Mikroplastik längst auch schon im menschlichen Körper angekommen. Bis zu fünf Gramm winziger Plastikteilchen durchwandern durchschnittlich jede Woche unseren Magen-Darm-Trakt. Anders formuliert: Wir essen wöchentlich eine Kreditkarte. Zugegeben, es gibt angenehmere Möglichkeiten, ein Thema zu verinnerlichen. Dennoch ist es wichtig, einen der wichtigsten Emittenten von Mikroplastik zu benennen: die Autoreifen.

Autoreifen sind einer der größten Verursacher von Mikroplastik

Nach den Hochrechnungen einer aktuellen OECD-Studie ("Non-exhaust Particulate Emissions from Road Transport") wird weltweit ab dem Jahr 2035 mehr Feinstaub durch Reifen, Bremsen und Aufwirbelungen verursacht als durch Verbrennungsmotoren. Pessimistischere Schätzungen gehen davon aus, dass diese Schwelle bereits mit Einführung der Euro-6-Abgasnorm im Jahr 2012 überschritten wurde.

Das Verhängnisvolle an der Situation: Während die Verbrennungsmotoren im Lkw- und Pkw-Verkehr über die Jahre immer sauberer wurden und damit der Anteil an krebserregenden, hochtoxischen Mikropartikeln in den Abgasen messbar abnahm, stieg die Belastung durch Mikro- und Nanoplastik aus dem Verkehr im selben Zeitraum rapide an. Grund dafür ist die anhaltende Zunahme des Verkehrsaufkommens: Was nutzen die vermeintlich saubereren Fahrzeuge, wenn immer mehr und immer schwerere auf Europas Straßen unterwegs sind?

Laut einer Studie der Weltnaturschutzunion IUCN gilt Reifenabrieb als eine der größten Quellen für Mikroplastik in der Umwelt. Bis zu ein Viertel der Menge, die irgendwann in den Weltmeeren landet, ist auf die schwarzen Gummis zurückzuführen.

Der Reifenabrieb ist bei E-Autos höher

Die Krux an der Situation: Auch der beginnende Wandel hin zur Elektromobilität wird an dieser verheerenden Bilanz nichts ändern ganz im Gegenteil. Da moderne Elektrofahrzeuge aufgrund der schweren Batterien schnell mehrere Hundert Kilogramm mehr wiegen, ist auch der Reifenabrieb höher. Eine Untersuchung der technischen Berater von Emissions Analytics in England unterfüttert diese Annahme mit Daten. In einem Langstreckentest mit einer Mercedes-Benz-C-Klasse über mehr als 30.000 Kilometer wurden nicht nur die Abgase des Motors, sondern auch die sogenannten Nicht-Auspuff-Schadstoffe untersucht. Bei den im Test verwendeten Reifen vom Typ Continental Contisport 6 lag die verursachte Feinstaubbelastung über den größten Teil der Teststrecke bei 76 Milligramm pro Kilometer - das ist mehr als 15 Mal höher als der gesetzlich festgelegte Grenzwert für Ruß aus dem Auspuff. Bei einer Zuladung von 570 Kilogramm stieg der Wert sogar auf bis zu 194 Milligramm pro Kilometer an.

Eine Alternative von der Wiese: Autoreifen aus Löwenzahn

Das Problem beim Feinstaubsünder Autoreifen: Im Gegensatz zu den Abgasen der Motoren kann das Problem nicht einfach durch strengere gesetzliche Normen behoben werden. Autoreifen bestehen etwa zur Hälfte aus Naturkautschuk oder synthetischem Gummi, dazu kommen Füllmittel und andere chemische Zusatzstoffe. Forschung zur Entwicklung eines alternativen Materialmix gibt es bereits. Bis spürbar umweltschonendere Reifen in den Handel kommen, dürfte es allerdings noch Jahre, im schlimmsten Fall sogar Jahrzehnte dauern.

„Die Entwicklung von „Taraxagum“ ist vielversprechend, wir arbeiten jetzt an einer weiteren Industrialisierung.“
Andreas Topp, Continental AG

Eine mögliche zukünftige Alternative wächst praktisch auf jeder Wiese: Löwenzahn. Bereits im Jahr 2015 stellte Continental auf der IAA in Hannover einen ersten Versuchsreifen vor, der anstatt des üblichen Safts der Kautschukpflanze den in Löwenzahn enthaltenen Latexsaft als Rohstoff nutzt. Langfristig verfolgt das Unternehmen damit das Ziel, den gesamten Naturkautschukanteil des Laufstreifens durch ein Material zu ersetzen, das - abgeleitet vom botanischen Namen für Löwenzahn: "Taraxacum" - als "Taraxagum" bezeichnet wird. Als Rohstoffquelle könnte eine besonders ertragreiche und robuste Variante des Kaukasischen Löwenzahns dienen, die in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME), dem Julius-Kühn-Institut sowie den Pflanzenzüchtern der Aeskulap GmbH gezüchtet wurde. Ob der Löwenzahnreifen tatsächlich besser für die Umwelt ist, bleibt abzuwarten: Zumindest deuten erste wissenschaftliche Studien darauf hin, dass die beim Abrieb freigesetzten Polymere entweder biologisch durch Bakterien oder chemisch durch Oxidation abbaubar sind.

Langlebigere Reifen werden entwickelt

Einen anderen Ansatz verfolgt man bei der Konkurrenz von Michelin. Der Einsatz modernster 3D-Drucktechnik soll besonders filigrane Strukturen im Reifenprofil ermöglichen und damit die Pneus langlebiger machen. Laut eigener Kalkulation könnten jährlich 6,6 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden, indem man die betreffenden Reifen bis zur gesetzlich vorgeschriebenen Mindestprofiltiefe von 1,6 Millimetern herunterfährt. Wenngleich langlebigere Reifen ohne Zweifel positiv für die Umwelt sind, einen Ausweg aus dem Mikroplastikdilemma bieten sie nicht. Und damit verschwinden weiterhin jedes Jahr Tausende Tonnen Mikroplastik im Boden und im Grundwasser.

Laut den Experten für Siedlungswasserwirtschaft an der TU Berlin verbleibt der Löwenanteil des Mikroplastiks jedoch länger als bisher vermutet auf der Fahrbahn und wird erst nach und nach abgewaschen. Demnach könnte es helfen, die Straßen im Hinblick auf Mikroplastik zielgerichteter zu reinigen - etwa vor prognostizierten Niederschlägen. Das könnte helfen, die Anzahl der Partikel in der Umwelt und der Kanalisation zu reduzieren.

STANDPUNKT

Florian T. Mrazek

Ein Blick in den E-Mail-Account führte in den vergangenen Wochen allzu häufig zu einem Déjà-vu: "Marke XY präsentiert neues, luxuriöses Elektro-SUV" - so lässt sich der aktuelle Trend in der Automobilbranche in einem Satz zusammenfassen.

Für langjährige Skeptiker der allerorts boomenden SUV-Bauform mag das eine alte Leier sein. Und doch entwickelte die Sache in den letzten Monaten eine zusätzliche Dynamik. Angesichts der im Wochenrhythmus präsentierten Milliardenpläne der Branche zur schnellstmöglichen Elektrifizierung der Flotten darf es nicht verwundern, dass man in den Finanzabteilungen zwischen Stuttgart, München und Wolfsburg derzeit wohl händeringend nach Möglichkeiten sucht, die notwendige, aber sündhaft teure Transformation möglichst aus dem laufenden Geschäft heraus zu finanzieren. Die aus Herstellersicht einfachste Lösung ist, möglichst viele große und teure Modelle zu verkaufen, da diese bedeutend höhere Renditen abwerfen als Kompakt- oder gar Kleinwagen. So ist es nur logisch, dass Premiummarken wie BMW und Mercedes, aber auch Volumenhersteller und sogar Nischenanbieter, die bisher für Kleinwagen oder zumindest schlankere Limousinen und Sportmodelle standen, nun mit SUV reüssieren, zumeist vollelektrisch und im fernen China produziert.

Problematisch ist diese Entwicklung aus mehreren Gründen: Einerseits wird es auf längere Zeit an bezahlbaren E-Modellen mangeln. Anderseits fördert die aktuelle Gesetzeslage den übermäßigen Verbrauch wertvoller Ressourcen, indem elektrische Modelle ungeachtet ihres tatsächlichen ökologischen Fußabdrucks subventioniert werden.