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Wer darf ein Auto lenken?

Für Senioren im Straßenverkehr gibt es keinen rechtlichen Rahmen. Anstatt einer Altersregelung fordern Experten verpflichtende Kontrolluntersuchungen.

Bei Edith Grünseis-Pacher (r.) und dem Club Mobil wird die Fahreignung im Rahmen eines praktischen Tests im Straßenverkehr überprüft.
Bei Edith Grünseis-Pacher (r.) und dem Club Mobil wird die Fahreignung im Rahmen eines praktischen Tests im Straßenverkehr überprüft.

Ein 94-jähriger Autolenker, der blind dem Navi seines Fahrzeugs vertraut, falsch abbiegt und schließlich in einem engen Fußgängertunnel stecken bleibt. Meldungen wie diese festigen das Bild von Heerscharen verwirrter Greise, die trotz augenscheinlicher Fahruntauglichkeit nicht aufs Autofahren verzichten wollen und sich und andere dabei in Lebensgefahr bringen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch zahlreiche Gegenbeispiele von rüstigen Senioren, die sich auch im gehobenen Alter enormer geistiger und körperlicher Fitness erfreuen und für die das eigene Auto ein willkommenes und nicht selten auch notwendiges Hilfsmittel zur Gestaltung eines erfüllten Lebensabends darstellt.

Laut Statistik Austria liegt der Anteil der Bevölkerung ab 65 Jahren in Österreich derzeit bei 19 Prozent. Schon jetzt sind die Pensionisten die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe. Und glaubt man den Prognosen, wird das Wachstum in den kommenden Jahren noch massiv ansteigen.

Bild: SN/club mobil
Das Alter allein stellt kein Kriterium für die Feststellung der Fahrtauglichkeit dar.
Edith Grünseis-Pacher, Mobilitätsexpertin

Welche Auswirkungen diese gesellschaftliche Entwicklung auf die Verkehrssicherheit im Land haben wird, weiß niemand besser als Edith Grünseis-Pacher. Die zertifizierte Mobilitätsexpertin ist Gründerin und Vorsitzende der Initiative Club Mobil. Seit einem tragischen Verkehrsunfall im Jahr 1989 sitzt die heute 55-jährige Autorin, Mediatorin und Psychologin im Rollstuhl - und hat sich seither auf das Thema Mobilität mit Handicap spezialisiert.

Feststellung der Fahrtauglichkeit

Als gerichtlich beeidete Sachverständige für Fahreignungs- und Fahrhilfefeststellung hat sie seit dem Jahr 2007 Tausende Menschen auf deren Fahrtauglichkeit überprüft. Senioren gehören ebenso zu ihrer "Klientel" wie Personen nach einem neurologischen oder internistischen Eingriff, einem Schlaganfall oder einem Schädel-Hirn-Trauma. Personen mit körperlichen Einschränkungen aufgrund einer Erkrankung oder in der Folge eines Unfalls bilden den Schwerpunkt der behördlich angeordneten Überprüfungen. "Dass Menschen aufgrund altersbedingter Einschränkungen auf freiwilliger Basis zu uns kommen, ist die absolute Ausnahme", berichtet Edith Grünseis-Pacher. "Meldet sich jemand unter dem Aspekt des Alters an, dann tritt beim Nachfragen fast immer eine gesundheitliche Einschränkung als eigentlicher Grund zutage." Denn das Alter allein stellt kein Kriterium für die Feststellung der Fahrtauglichkeit dar, wie die Mobilitätsexpertin betont. Ganz im Gegenteil: 18-Jährige, die nach einem Schlaganfall nicht mehr fahren können, kommen demnach ebenso vor wie 45-jährige Demenzpatienten oder über 90-Jährige mit den kognitiven Fähigkeiten eines Mittfünfzigers. "Ich kann mich gut an einen Stammkunden erinnern, der sich ab dem 95. Geburtstag jedes Jahr freiwillig dem Test unterzogen hat und auch im Alter von 99 nach einwandfrei unterwegs war", so Grünseis-Pacher. "Mit 100 war die Überprüfung nicht mehr positiv, woraufhin er den Führerschein freiwillig abgegeben hat." Ein anderes Extrem war ein Teilnehmer eines Fahrsicherheitskurses, dessen Tochter als Beifahrerin mit einem Stock Gas- und Bremspedal bedienen wollte.

Freiwillige Abgabe des Führerscheins nach negativem Test ist selten

Zum Thema Autofahren im Alter hat die Expertin nach mehr als 25 Jahren Erfahrung eine klare Meinung: "Es ist wissenschaftlich belegt, dass sich Menschen über 60 beim Thema Autofahren überschätzen. Die allermeisten sind fest davon überzeugt, dass sie mit 80 bessere Autofahrer sind als mit 25. Das ist natürlich nicht der Fall, weil die Aufmerksamkeit, die Konzentrationsfähigkeit und die kognitiven Fähigkeiten im Alter ganz einfach abnehmen." Das sei ganz normal und treffe jeden und jede irgendwann. Was jedoch nicht heißt, dass die Club-Mobil-Gründerin im Falle negativer Testergebnisse stets auch auf Verständnis stößt. "In all den Jahren habe ich gerade einmal zwei Teilnehmer erlebt, die den Führerschein nach einer Überprüfung freiwillig und aus freien Stücken abgegeben haben - die restlichen 99,9 Prozent waren trotz teils offensichtlicher Probleme uneinsichtig."

Aus diesem Grund müssen die Teilnehmer auch verpflichtend in Begleitung einer Vertrauensperson zur Fahrüberprüfung erscheinen, die sie im Falle einer negativen Beurteilung heimfahren kann. Den Führerschein vor Ort einkassieren darf das Team von Club Mobil aus rechtlichen Gründen nicht, allerdings existiert seit einem Urteil des Obersten Gerichtshofs im Jahr 2017 eine gesetzliche Meldepflicht. Diese gilt nicht nur für Behörden und Ärzte, sondern auch für Familienangehörige. "Wenn jemand zu uns kommt, bevor etwas passiert oder bevor es zu einer Anzeige kommt, dann melden wir das nicht an die Behörde weiter", so Grünseis-Pacher, die sich mit dieser Praxis spätestens seit einer Studie des Verkehrsministeriums im Jahr 2012 bestätigt sieht, wonach sich 94 Prozent der negativ getesteten Teilnehmer an die Empfehlung halten und ihren Führerschein freiwillig abgeben. "Wir wollen so unseren Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten, denn immerhin 82 Prozent aller negativ getesteten Personen sind bis zur Fahrüberprüfung noch mit dem eigenen Auto unterwegs gewesen."

Regelmäßig verpflichtende Gesundenuntersuchung für Führerscheinbesitzer?

Mit Blick auf andere EU-Länder, wo das gesellschaftliche Problem des Autofahrens im Alter weitaus konsequenter angegangen wird als in Österreich oder Deutschland, fordert Edith Grünseis-Pacher ein rasches Handeln der Politik. "Die heutigen 80-Jährigen sind die erste Generation, die ihr ganzes Leben lang Auto gefahren ist und natürlich nicht darauf verzichten will. Eine einheitliche Altersregelung zur Abgabe des Führerscheins ist politisch nur schwer durchsetzbar und bringt das Problem mit sich, dass sie einerseits fitte Alte diskriminieren würde. Andererseits würden junge Menschen mit akuten Problemen ebenfalls durch den Rost fallen." Eine weitaus bessere Lösung stellt für die Mobilitätsexpertin eine regelmäßige verpflichtende Gesundenuntersuchung für alle Führerscheinbesitzer dar. "Fürs eigene Auto machen wir regelmäßig ein Pickerl, warum nicht auch für die eigene Fahrtüchtigkeit?"

STANDPUNKT Florian T. Mrazek



Tickende Zeitbomben auf den Straßen

Dass die Politik unpopuläre Entscheidungen scheut wie der Teufel das Weihwasser, ist nichts Neues. Nur seltsam, dass innerhalb der gesamten EU bei der Überprüfung der Fahrtauglichkeit nur Deutschland eine ähnlich lösungsfeindliche Position einnimmt wie Österreich. Anders formuliert: Nur in diesen beiden Staaten sind die Gesetzgeber schlicht und einfach zu feig, endlich eine seit Jahren überfällige Entscheidung zu treffen. Nämlich dafür zu sorgen, dass Autofahrern, deren kognitive Fähigkeiten nicht (mehr) für das Lenken eines Fahrzeugs ausreichen, die Fahrerlaubnis entzogen wird. Und zwar unabhängig vom Alter, sondern anhand objektiver Kriterien. Die Idee einer verpflichtenden regelmäßigen Gesundenuntersuchung - einer Art "Pickerl für die Fahrtauglichkeit" - stellt dabei aus Expertensicht die beste Lösung dar. Nur so lässt sich langfristig vermeiden, dass überforderte Verkehrsteilnehmer weiter sich und andere gefährden, während andere nur aufgrund des Geburtsdatums in ihrem Pass diskriminiert werden. Eines ist klar: Wer mit der Entscheidung bis zur Serienreife des selbstfahrenden Autos wartet, muss noch viele Jahre unzählige unnötige Verkehrsopfer verantworten.