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Autonomes Fahren: Die Zukunft macht Pause

Autonome Fahrzeuge gelten als Zukunftshoffnung für Wirtschaft und Klima. Dennoch rutschen immer mehr ambitionierte Projekte in eine Krise.

Bei VW will man am Ziel festhalten, ab 2025 in Hamburg selbstfahrende Taxi-Shuttles anzubieten.
Bei VW will man am Ziel festhalten, ab 2025 in Hamburg selbstfahrende Taxi-Shuttles anzubieten.
Was wir beim autonomen Fahren machen, ist Aufgabe für ein ganzes Jahrzehnt.¦Markus Heyn, Mobility Solutions bei Bosch
Was wir beim autonomen Fahren machen, ist Aufgabe für ein ganzes Jahrzehnt.¦Markus Heyn, Mobility Solutions bei Bosch

Es war eines der faszinierendsten und zugleich vielversprechendsten Projekte im Bereich des autonomen Fahrens und ging zudem in unmittelbarer Nachbarschaft zu Salzburg über die Bühne: Die Rede ist vom US-Start-up Argo AI, einem der weltweit führenden Entwickler von Roboautos.

Noch im September 2021 nutzten die "Salzburger Nachrichten" die Chance, eines der ersten Versuchsfahrzeuge am Münchner Flughafen hautnah zu erleben. Zuvor war Argo-AI-Gründer Bryan Salesky sogar einer der Stargäste des damaligen VW-CEO Herbert Diess bei der IAA in München gewesen, und der Prototyp eines autonom fahrenden VW-Elektrobusses der Hingucker eines exklusiven Presseevents mit ausgesuchten Medienvertretern.

Autonome Fahrzeuge: VW und Ford steigen bei Argo AI aus

Ein Jahr später ist nun alles anders. Wie vor wenigen Tagen bekannt wurde, beenden Volkswagen und Ford den gemeinsamen Versuch, selbstfahrende Roboautos zu bauen. Zugleich ziehen sich beide Hersteller aus dem 2016 von Bryan Salesky und Peter Rander gegründeten Unternehmen Argo AI zurück. Mit dem Rückzug von VW und Ford, die zuletzt je 40 Prozent an dem Unternehmen hielten, steht die Firma nun vor der Auflösung.

Wie bekannt wurde, schreibt man bei Ford rund 2,7 Milliarden Dollar auf die Investition in Argo AI ab. Während sich der US-Konzern bis auf Weiteres komplett aus der Entwicklung autonomer Fahrzeuge zurückzieht, hält man bei Volkswagen vorerst am Ziel fest, ab dem Jahr 2025 in Hamburg über die Tochter Moia selbstfahrende Taxifahrten anzubieten. Als Ersatz für das milliardenschwere Gemeinschaftsprojekt soll die Entwicklung mit einem anderen Partner ausgebaut werden.

VW will selbstfahrende Autos bauen

Dass man bei Volkswagen an den langfristigen Zielen festhält, gilt als sicher. Schließlich gelten selbstfahrende Autos als der wichtigste Zukunftsmarkt der Automobilbranche. Laut einer Prognose von Goldman Sachs könnte der globale Markt für autonome Fahrzeuge bis zum Jahr 2025 rund 96 Milliarden Dollar betragen.

Die rosigen Zukunftsaussichten ändern jedoch nichts daran, dass viele Projekte die in sie gesetzten hohen Erwartungen nicht erfüllen konnten. Neben Argo AI galt Waymo als eines der vielversprechendsten Projekte. Mitgegründet wurde die frühere Tochtergesellschaft von Google-Konzernmutter Alphabet 2009 von Anthony Levandowski. Der französisch-amerikanische Ingenieur gilt als echter Pionier der Branche und leitet heute Pronto AI - ein Start-up, das autonome Lastwagen für Industrieanlagen entwickelt.

Ein Problem haben alle fahrerlosen Autos

In Bezug auf den Fortschritt der Technologie gibt sich Levandowski heute desillusioniert. Für den Spezialisten, der bereits 2004 sein erstes selbstfahrendes Fahrzeug zusammengebaut hat, haben fahrerlose Autos allesamt ein großes Problem: Sie verlassen sich bei der "Ausbildung" ihrer künstlichen Intelligenz mehr auf Simulationen als auf echte Fahrsituationen. Sie hätten oft wenig mehr als sehr anspruchsvolle Demos zu bieten. Es sei eine Illusion: Für jede erfolgreiche Demo gäbe es Dutzende von gescheiterten Demos.

Laut Anthony Levandowski können selbstfahrende Autos auch auf lange Sicht keine komplexeren Aufgaben schaffen. Die von ihm entwickelten Lkw von Pronto AI legen ihm zufolge jeden Tag immer die gleiche Strecke zurück, ohne auf besondere Hindernisse zu stoßen.

Branchenübergreifende Zusammenarbeit für autonomes Fahren

Die Frage, wie die Herausforderungen des autonomen Fahrens schneller gelöst werden könnten, war Thema der Hauptversammlung der Initiative "The Autonomous", die diesen September in Wien über der Bühne ging. Mit dabei waren mehr als 500 globale Branchenführer und Experten von Unternehmen wie Audi, BMW, Bosch, Infineon, NVIDIA, Mercedes, Mobileye, Volvo und Amazon Web Services.

Der Grundtenor dabei war, dass es viel mehr branchenübergreifende Zusammenarbeit brauche. "Ein zu starker Konkurrenzkampf kann in einem derart komplexen Themenfeld keinen erfolgversprechenden Fortschritt garantieren. Vielmehr sollte fachspezifisches Know-how als Open-Source geteilt werden", so Andreas Urschitz von Infineon Technologies. Auch Markus Heyn, Mitglied der Geschäftsführung und Vorsitzender von Mobility Services bei Bosch, teilte diese Meinung: "Wir müssen den Rahmen jetzt ganz klar abstecken. Kein Unternehmen schafft es allein. Was wir beim autonomen Fahren machen, ist Aufgabe eines ganzen Jahrzehnts."

Autonomes Fahren: wichtig sind Regulierungen und Infrastruktur

Ebenfalls von großer Bedeutung für den Fortschritt von selbstfahrenden Autos seien die entsprechenden Regulierungen sowie der Ausbau der Infrastruktur. "Autonomes Fahren ist weniger Technologie als vielmehr Infrastruktur", so Wolfgang Ebner vom Österreichischen Bundesministerium für Finanzen. "Damit das Konzept wirklich funktioniert, muss es mit dem Internet of Things, dem 5G-Ausbau und verschiedenen Sensoren auf Straßen und in Fahrzeugen eine starke Infrastruktur geben. Die Architektur der Gegenwart und Zukunft muss das berücksichtigen. Aber auch ein rechtliches Framework muss bestehen, um wirklich autonomes Fahren zu ermöglichen."

Andreas Tschiesner, Senior Partner bei McKinsey, plädiert für eine öffentlich-private Koordinierung und bezieht sich auf eine Studie der Stadt Oslo, bei der die Auswirkungen von in den öffentlichen Verkehr integrierten autonomen Fahrzeugen untersucht wurden: "Übertragen auf eine Stadt wie Wien könnten aufeinander abgestimmte Robotshuttles rund 90 Prozent des Verkehrs im Stadtzentrum ersetzen und gleichzeitig die Betriebskosten um 30 Prozent senken. Wenn dies auf intelligente Weise geschieht, verbessert sich die Lebensqualität deutlich."