SN.AT / Leben / Mobilität

Der Nobelhobel auf jedem Campingplatz: Mercedes Marco Polo Horizon

Eine Urlaubsfahrt mit dem modellgepflegten Mercedes Marco Polo Horizon. Im dynamischen California-Konkurrenten wird vor allem der Weg zum Ziel.

Der Luxus-Sportwagen auf jedem Campingplatz – auch wenn der Mercedes-Benz Marco Polo Horizon gar kein vollwertiges Campingmobil ist.
Der Luxus-Sportwagen auf jedem Campingplatz – auch wenn der Mercedes-Benz Marco Polo Horizon gar kein vollwertiges Campingmobil ist.

Um keine falschen Erwartungen zu wecken: Die Horizon-Variante des neuen Mercedes Marco Polo ist kein Wohnmobil. Wer Camping-Features wie eine ernsthafte Kochmöglichkeit, Kühlbox, einen großen Klapptisch sowie nennenswerten Stauraum für Kleidung und den alltäglichen Krimskrams sucht, der ist beim "normalen" Marco Polo an der richtigen Stelle, zu einem Listenpreis ab 72.080,30 Euro. Und wenn wir schon beim Thema Preis sind: Der von uns gefahrene Horizon mit elektrischen Schiebetüren auf beiden Fahrzeugseiten, der zu einem Kingsize-Bett umklappbaren Dreier-Rücksitzbank sowie einer zweiten Liegemöglichkeit unter dem manuell bedienbaren Aufstelldach kommt auf schlappe 119.175 Euro nach Steuern.

Um den ersten Schock zu überwinden, sei erwähnt, dass man für diesen sechsstelligen Betrag das wohl komfortabelste und dynamischste Freizeitmobil bekommt, das aktuell auf dem Markt zu haben ist. Die Basis für den Marco Polo, als innerdeutscher Hauptgegner für den Marktführer VW California positioniert, bildet die im Frühjahr 2019 modellgepflegte Mercedes-Benz-V-Klasse. Zwar fehlte dem Testfahrzeug das seit November letzten Jahres verfügbare Multimediasystem MBUX. Doch schon die Kombination aus der 239 PS starken Topmotorisierung, permanentem Allradantrieb und der seidenweich schaltenden 9-Gang-Wandlerautomatik machen den Marco Polo gefühlt zum Luxus-Sportwagen auf jedem Campingplatz.

Natürlich stellt sich angesichts der 500 Newtonmeter Drehmoment des 300d und einer Höchstgeschwindigkeit jenseits der 200 km/h schnell die Sinnfrage. Sparpotenzial bieten wahlweise der keinesfalls schwachbrüstige Einstiegs-Diesel mit 163 PS und 380 Newtonmetern oder die mittlere Motorisierung mit 190 PS und 440 Newtonmetern. Freilich bietet auch die Phalanx der elektronischen Helferlein die Möglichkeit, den Preis nicht allzu weit über die für das Basismodell ausgerufenen 63.249 Euro schnellen zu lassen. Doch ganz ehrlich: Wer einmal nach einer knapp siebenstündigen Fahrt so frisch ausgestiegen ist, als wäre er nur mal eben schnell ins Büro und zurück gependelt, der mag kaum eines der großteils wirklich nützlichen Komfort- und Sicherheitsfeatures mehr missen. Neben dem Park-Paket mit 360-Grad-Kamera (1399 Euro), dem aktiven Abstands-Assistenten Distronic (871 Euro) und der separat zu öffnenden Heckscheibe (418 Euro) sei vor allem das LED-Intelligent-Light-System hervorgehoben. Dessen 1606 Euro Aufpreis (inklusive weiteren 174 Euro für den Fernlichtassistenten Plus) machen sich auf jedem einzelnen Reisekilometer bezahlt. Die Fahrbahn wird dabei so taghell ausgeleuchtet wie der Rasen im Fußballstadion von Red Bull Salzburg.

Kommen andere Autos entgegen, werden einzelne LED-Module in Sekundenbruchteilen ausgeschaltet, wodurch der Gegenverkehr oder vorausfahrende Fahrzeuge trotz des aktiven Aufblendlichts nicht geblendet werden. Im Gegenzug dazu bieten sich das AMG-Line-Designpaket mit seinem Bling-Bling-Kühlergrill (3350 Euro), das elektrische Glas-Schiebedach im Aufstelldach (1168 Euro) oder die elektrisch bedienbaren Schiebtüren (je 768 Euro pro Türe) als verzichtbare Punkte im Fahrzeugkonfigurator an. Vor allem Letztgenannte sorgen nicht nur für Kopfschütteln unter hartgesottenen Dauercamper-Nachbarn, sondern saugen nach einer Woche am Campingplatz auch die Autobatterie leer. Womit wir bei der Fahrzeugbeurteilung aus Camping-Perspektive wären. Wie anfangs erwähnt, hat Mercedes den Horizon als Fünfmeter-Freizeitmobil positioniert, das sich eher für einen Wochenendausflug und maximal zwei Übernachtungen als einen ernsthaften Camping-Urlaub eignet. Das äußert sich nicht nur durch den Wegfall des Stromanschlusses außen, sondern eben auch dadurch, dass für einen mehrwöchigen Aufenthalt schlichtweg die Verstaumöglichkeiten fehlen. Wer also nicht gerade allein oder maximal zu zweit verreist und über Marie-Kondo-artige Ordnungsfähigkeiten verfügt, der sollte ernsthaft den Einsatz eines Begleitfahrzeugs in Erwägung ziehen.

Völlig leer geräumt, schläft es sich im Marco Polo Horizon geradezu luxuriös. Vor allem die obere Matratze bietet überraschend hohen Liegekomfort, wenngleich das Aufwachen mit Meeresblick mangels Öffnung nach vorn leider entfällt. Auf der unteren Liegefläche fallen die etwas ungünstig, mittig positionierten Lichtquellen und die fehlenden USB-Anschlüsse auf. Stattdessen gibt es je eine Bordspannungssteckdose im Bereich der seitlichen Schiebetüren sowie im Kofferraum. Dass die dringend empfohlene Schlafauflage für die umklappbare Leder-Sitzbank 319 Euro Aufpreis kostet, stört im Alltag weniger als die etwas altmodisch wirkenden Gardinen für Heck- und Seitenscheiben oder die textile Abdeckung für die Windschutzscheibe, deren Saugnäpfe schon bei leichtesten Berührungen ausreißen. Wer allerdings die Aufpreisliste genauestens studiert und wirklich wichtige Features zielgenau auswählt, bekommt mit dem Marco Polo ein Weltklasse-Freizeitmobil.