SN.AT / Leben / Mobilität

Fahrradverkehr: Über vergebene Chancen und die Mühen der Politik

Der Radkoordinator der Stadt Salzburg Peter Weiß spricht im SN-Interview Klartext.

 Salzburgs Radkoordinator Peter Weiß mit dem Prototyp eines Leihfahrrads für das S-Bike-System.
Salzburgs Radkoordinator Peter Weiß mit dem Prototyp eines Leihfahrrads für das S-Bike-System.

Seit 1991 ist er in der Stadt Salzburg für die Koordination sämtlicher Themen rund um den Fahrradverkehr zuständig. Privat besitzt Peter Weiß zwar ein Auto, nutzt es aber nur im Ausnahmefall. Für den täglichen Weg ins Büro im Salzburger Andräviertel nimmt er ausschließlich das Fahrrad. Auch jetzt im Winter.

Herr Weiß, als bekennender Fahrradfreak haben Sie Ihr Hobby quasi zum Beruf gemacht. Darf man sich Sie als glücklichen Menschen vorstellen? Peter Weiß: (lacht) Persönlich geht's mir gut. Aus beruflicher Sicht ist meine Gefühlslage gemischt. Grundsätzlich haben wir intern wirklich gute Leute, die aktiv, kreativ und fachlich top sind und die tatsächlich auch etwas bewirken wollen. Trotzdem hat man immer den Eindruck, der Wagen fährt mit angezogener Handbremse.

Ich gehe davon aus, es mangelt Ihnen nach so langer Zeit in Ihrem Job nicht an Beispielen? Das aktuellste Beispiel ist der geplante Bau der Radbrücke über die Saalach zwischen Salzburg-Liefering und Freilassing, die im Vergleich zum jetzigen Radweg einen Umweg von vier Kilometern einsparen würde. Dieses Projekt wurde als fixer Bestandteil der Salzburger Fahrradstrategie vom Gemeinderat beschlossen. Seit 2014 wurde geplant, es gibt eine fertige Machbarkeitsstudie von Stadt und Land, eine Potenzialstudie und eine EU-Förderung, die 75 Prozent der Planungskosten abfedert. Unterm Strich würde die Sache der Stadt lächerliche 12.000 Euro kosten - und trotzdem macht man nicht mit, sondern lässt das Land und die beteiligten Gemeinden mit dem Projekt allein.

Woran liegt das aus Ihrer Sicht? Das Grundproblem ist in Salzburg seit Jahrzehnten unverändert die oft vorauseilende Grundskepsis der politischen Entscheidungsträger gegenüber dem Thema Radverkehr, ohne sich auch nur ein wenig mit der Thematik auseinanderzusetzen. Da wird einfach nicht zugehört - und das zieht sich quer durch das gesamte politische Farbspektrum. Es fehlt schon seit Langem der Weitblick, es werden Projekte aus dem Bauch heraus als zu teuer eingestuft, ohne dass man die Fachleute überhaupt anhört.

Sie meinen, es wird bei den politischen Entscheidungen zu wenig auf Sachargumente gehört? Genau das. Ein weiteres Beispiel ist der Fahrradweg entlang der Bahnstrecke vom Europark in Richtung Hauptbahnhof. Im ersten Entwurf hatten sämtliche Experten den Bau einer Fahrradbrücke über die Rudolf-Biebl-Straße und die Gabelsbergerstraße im Bereich des Nelböck-Viadukts empfohlen. Im ursprünglichen Baukonzept der Bahnstrecke war beides mit eingeplant, wurde dann aber wieder herausgestrichen. Die Folge: In der Rudolf-Biebl-Straße regten sich die Radfahrer zu Recht darüber auf, dass sie vor 15 Zentimeter hohen Randsteinkanten standen. Ich habe damals sämtliche Beschwerden ans Büro des Bürgermeisters weitergeleitet. Schlussendlich wurde die Fahrradbrücke über die Rudolf-Biebl-Straße nachträglich um 1,3 Millionen Euro doch gebaut - um eine Million teurer, als wäre sie mit der Bahnbrücke gebaut worden. Hier wurde eine Menge Steuergeld verbrannt. Kein Wunder, dass der damalige Bürgermeister nicht zur Eröffnung der Fahrradbrücke kam.

Und die Brücke beim Nelböck-Viadukt? Auch hier hätte man sich die Probleme mit dem unfallträchtigen Kreisverkehr und die enormen Kosten des mehrmaligen Umbaus ganz einfach sparen können. Die ursprünglich geplante Fahrradbrücke hätte einen Bruchteil der investierten Summe gekostet.

Einmal etwas anderes: Gibt es auch Projekte, auf die Sie stolz sind? Ja, da fällt mir Gott sei Dank auch einiges ein. Da wäre auf jeden Fall die zweite Unterführung unter der Staatsbrücke, die Verbindung zwischen Aigen und der Josefiau durch den Wilhelm-Kaufmann-Steg oder die Fahrrad-Boxen an allen S-Bahn-Stationen in Salzburg.

Welche Projekte würden Ihrer Meinung nach aus heutiger Sicht am meisten für den Fahrradverkehr in Salzburg bringen? Nun, es wird ja aktuell einiges getan. So wird etwa die Fahrrad-Infrastruktur im Norden nach Hagenau sowie in der Carl-Zuckmayer-Straße nach Kasern gebaut. Dazu kommt der geplante Ausbau entlang der Alpenstraße nach Anif. Sinn hätte auf jeden Fall eine Brücke über die Autobahn beim Europark, als Lückenschluss zur Strecke nach Freilassing. Viel bringen würde auch die konsequente Schneeräumung der wichtigsten Radverbindungen im Winter.

Als eines Ihrer Lieblingsprojekte gilt ja das Fahrrad-Leihsystem S-Bike. Wie steht es darum? Tja, damit befasse ich mich schon seit 2012. Es gibt dafür schon seit einigen Jahren einen beschlossenen Amtsbericht, also einen Grundsatzbeschluss. Doch auch hier hat mir die Politik wieder eine Bremse reingehaut: Als Grundbedingung wurde eine Förderungsquote von 50 Prozent festgelegt. Wir haben zwar fix zugesagte 250.000 Euro Förderung vom Infrastrukturministerium. Das Problem ist jedoch, dass die Klima-aktiv-Förderung von der vergangenen Bundesregierung für Städte mit über 30.000 Einwohnern ersatzlos gestrichen wurde. Also fehlen mir aktuell 250.000 Euro auf die Hälfte der geplanten Gesamtkosten. Und damit ist die Situation verfahren und das Projekt bis auf Weiteres blockiert. Dazu kommt, dass die aktuelle Förderungszusage nur noch um maximal zwei Jahre verlängert werden kann. Wenn weiter nichts passiert, stehen wir spätestens dann wieder komplett am Anfang mit dem Projekt. Meine Initiative, die fehlende Finanzierung in der Privatwirtschaft aufzutreiben, wurde mit der dazu notwendigen Ausschreibung verhindert.

Schauen Sie eigentlich mit Sehnsucht nach Graz, wo es ein 100-Millionen-Fahrradbudget für die nächsten zehn Jahre gibt? Ironischerweise scheitert es in Salzburg ja nicht primär am Geld. Wenn man sich andere europäische Städte ansieht, wird man schnell feststellen, dass funktionierende Lösungen weder besonders teuer noch aufwendig sind. Ein gutes Beispiel ist die Stadt Groningen in Holland. Hier wurde die Innenstadt bereits vor 30 Jahren in vier Sektoren aufgeteilt, die zwar für Autos zugänglich sind, aber sie können nicht direkt von einem in den benachbarten Sektor wechseln, weil die verbindenden Straßen für Autos gesperrt sind. Diese müssen außen herumfahren, während Radfahrer den direkten Weg nehmen können. Seither stieg der Fahrradanteil am Verkehr auf über 60 Prozent.

KOMMENTARE (0)