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"Jeder einzelne Chip zählt"

Porsche-Finanzvorstand Lutz Meschke über Halbleitermangel, Software und e-Fuels. Der Wächter der Rendite bei Porsche verrät, warum sein eigenes Auto nur noch einen Schlüssel hat.

Porsche-Finanzvorstand Lutz Meschke steuert Porsche durch schwierige Zeiten.
Porsche-Finanzvorstand Lutz Meschke steuert Porsche durch schwierige Zeiten.

Auch Porsche litt 2021 massiv unter der Halbleiterknappheit. Umso bemerkenswerter ist, dass der Sportwagenhersteller einen neuen Auslieferungsrekord erzielte. Mit den SN spricht Finanzvorstand Lutz Meschke über die Erfolgsrezepte der Marke.

Herr Meschke, die gesamte Autobranche kriselt, doch Porsche hat für 2021 beim Absatz ein Rekordergebnis gemeldet? Lutz Meschke: Ja, das stimmt. Wir haben im vergangenen Jahr 301.915 Fahrzeuge ausgeliefert. Das ist ein neues Allzeithoch. Wir kämpfen allerdings sehr stark um unseren Erfolg - und das Woche für Woche. Auf der einen Seite ist die Auftragslage erfreulich gut und erreicht neue Rekordhöhen, auf der anderen Seite ist die Knappheit der Halbleiter nach wie vor akut. Deshalb suchen wir auch neue Wege, um an Chips zu kommen. Wir wollen uns künftig nicht mehr allein auf unsere Tier-1-Lieferanten verlassen, sondern suchen zusätzlich das direkte Gespräch mit Chipherstellern. Insgesamt helfen uns unsere immer noch verhältnismäßig geringen Stückzahlen dabei, besser aus der Krise herauszufahren, als es vielleicht im Volumenbereich möglich ist. Und unser gutes Krisenmanagement.

Wie wirkt sich die aktuelle Situation auf die Finanzplanung aus? Ich bin überzeugt, dass auch in Coronajahren die Investitionen für die Zukunft extrem wichtig sind. Für uns bedeutet das, dass wir trotz aller Herausforderungen die Investments in die Elektrifizierung und Digitalisierung ungebremst fortsetzen. Natürlich muss man auf die Kostenbremse treten und die Liquidität massiv im Auge behalten. Aber gerade bei den Zukunftsthemen darf man im Grunde keinen Euro nachgeben und muss weiter Vollgas geben. Wir haben uns vorgenommen, in den nächsten fünf Jahren rund 15 Milliarden Euro in Elektrifizierung, Nachhaltigkeit und Digitalisierung zu investieren. Wir haben uns das ehrgeizige Ziel gesetzt, dass wir bis 2030 bilanziell CO2-neutral sein werden, und richten unser Unternehmen stringent danach aus - inklusive der Lieferketten, der Produktion und der Nutzungsphase der Fahrzeuge.

Bis Ende des Jahrzehnts sollen 80 Prozent aller Porsche elektrifiziert sein. Sind dabei Hybride mitgerechnet oder meint man damit ausschließlich rein elektrische Fahrzeuge? Aus heutiger Sicht wird es 2030 noch Plug-in-Hybride geben, aber der Löwenanteil der Fahrzeuge wird rein elektrisch unterwegs sein. Unsere Ikone, der 911, soll möglichst lange als Verbrenner weiterfahren. Aber wir dürfen uns nichts vormachen: Die Welt wird Ende des Jahrzehnts überwiegend elektrisch sein müssen, wenn die ehrgeizigen Klimaziele weltweit erfüllt werden sollen.

Porsche engagiert sich stark im Bereich der synthetischen Treibstoffe. Wie passt das zur Elektromobilität? Wir forcieren die E-Mobilität, weil sie sehr gut zur Marke passt. Gleichzeitig ist der 911 als Verbrenner ein Kulturgut, unsere Seele, unser Herz. Es gibt aktuell weltweit Tendenzen, die Verbrenner langfristig auslaufen zu lassen. Damit das nicht passiert, müssen wir Antworten finden und neue Wege gehen. Wir haben uns bei Porsche dafür entschieden, in e-Fuels zu investieren. Und zwar an Standorten, an denen die erneuerbare Energie, mit der sie erzeugt werden, im Überschuss vorhanden ist - zum Beispiel in Chile. Das ist die Antwort, um auch Verbrenner nahezu CO2-neutral zu fahren. Wir reden hier ja nicht nur über Neufahrzeuge, sondern auch über mehr als eine Milliarde Bestandsfahrzeuge, die weltweit im Verkehr sind. Die werden in den nächsten 10,
20 Jahren nicht einfach verschwinden.

Porsche plant, eine eigene Software-Entwicklung in China aufzubauen. Welche Strategie steckt da dahinter? Unsere chinesischen Kunden stellen gänzlich andere Anforderungen als jene in Europa oder in den USA. Sie sind mit durchschnittlich rund 35 Jahren deutlich jünger und fast die Hälfte ist weiblich. Als Hersteller muss man Angebote haben, die im jeweiligen Markt gefordert und entwickelt werden. Im Infotainment-Bereich kann man in China nicht mit Google oder Apple punkten. Stattdessen müssen wir dort mit den lokalen Techplayern wie Tencent oder Alibaba arbeiten.

Das Ziel, den Software-Eigenanteil von aktuell 10 auf 60 Prozent bis 2025 zu steigern, ist ambitioniert. Ich bin der Meinung, dass wir unsere eigene Software-Kompetenz massiv steigern müssen. Wir müssen Vorgaben machen können, wie die zukünftige elektronische Fahrzeugarchitektur auszusehen hat. Und das schaffen wir nur, wenn wir die dazu notwendige Kompetenz im Haus haben. Dafür sind nicht 50.000 eigene Software-Entwickler notwendig. Das wäre schlichtweg nicht machbar, weil die Fachleute heute zum Großteil beispielsweise bei Google oder Apple gebunden sind. Aber es ist extrem wichtig, offene Plattformen zu kreieren und mit den richtigen Techplayern zu kooperieren, um in Zukunft die richtigen Services anbieten zu können. Offen heißt an dieser Stelle allerdings nicht, dass man uneingeschränkt Fahrzeug- oder gar Kundendaten herausgibt.

Inwiefern werden hier die Ressourcen mit dem VW-Konzern gebündelt? Porsche ist in die Konzernaktivitäten eingebunden. Es hat absolut Sinn, eine Software-Architektur zu schaffen, die von mehreren Marken genutzt wird. Die Frage lautet nur: Wie soll diese Plattform aussehen? Ist es eine komplett proprietäre Software, mit der es schwierig werden kann, die vorhin genannten Techriesen zur Realisierung der jeweils besten Lösungen einzubinden? Oder ist es in Teilen eine offene Software, um den Kunden in den verschiedenen Weltregionen die passenden Angebote machen zu können? Aktuell diskutieren wir den Weg zum Ziel. Und ich bin zuversichtlich, dass es in die richtige Richtung geht.

Zurück zum Thema Halbleitermangel. Welche konkreten Auswirkungen verspürt man bei Porsche? Wir haben aktuell so viele Auftragseingänge wie nie zuvor. Der Halbleitermangel führt jedoch dazu, dass Kunden länger auf ihr Fahrzeug warten müssen. Wir kämpfen jeden einzelnen Tag um Lösungen. Das ist ein Fahren auf Sicht und nicht das, was ich mir als strategisch arbeitender Finanzer vorstelle, um ein Unternehmen langfristig steuern zu können.

Wurden auch bei Porsche Autos mit sogenannten Blindchips gebaut? Wir mussten uns extrem flexibel aufstellen, weil in der einen Woche die eine Art von Chips fehlte, in der nächsten Woche eine ganz andere. Wir wollen unsere Kunden möglichst nicht warten lassen. Die Zuteilung der verfügbaren Halbleiter wurde deshalb nicht nur von der Margenverteilung abhängig gemacht, sondern auch von der jeweiligen Wartedauer. Einige Tausend Fahrzeuge wurden zudem mit provisorischen Bauteilen gefertigt. Sie wurden nachgerüstet, sobald die regulären Teile wieder verfügbar waren. Generell gilt jedoch: Porsche liefert zu keiner Zeit Fahrzeuge mit "Dummy-Steuergeräten" an Endkunden aus, bei denen genehmigungs- oder sicherheitsrelevante Funktionen betroffen sind. Ich selbst fahre aktuell einen Wagen, zu dem es nur einen Schlüssel gibt. Alle firmeninternen Fahrzeuge wurden aufgrund des Halbleitermangels vorübergehend so ausgeliefert. Jeder einzelne Chip zählt.

Wäre die Halbleiterproblematik auch ohne Coronakrise aufgetaucht? Die Kapazitäten wurden in der Vergangenheit nicht in dem erforderlichen Umfang aufgebaut. Das hat mit Corona nur teilweise zu tun. Vor allem die explosive Entwicklung in Richtung Digitalisierung ist ein Stück weit unterschätzt worden. Deswegen hätten wir auch ohne Corona eine gewisse Knappheit in diesem Bereich.

Wird die zunehmende Digitalisierung daran etwas ändern? Die Halbleiterwelt ist unglaublich weit gestreut. Die Mehrzahl der verbauten Chips ist nicht sehr komplex und kostet in der Beschaffung auch nur wenige Cent. Aber es gibt eben auch hochkomplexe Elemente, in denen extrem viel Know-how steckt. Diese kosten dann Hunderte Euro. Von daher kann man darauf nicht pauschal antworten. Fest steht: Das Thema autonomes Fahren wird deutlich komplexere Chips erfordern. Die Tendenz geht also in diese Richtung.

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